Interview mit Prof. Dr. Brenner zur Thüringer Kommunalordnung (ThürKO)

Im Verlauf der ersten Welle von Covid-19-Infektionen in Deutschland und Thüringen zeigte sich, dass in der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO) Instrumente fehlen, um Gemeinde-, Stadtrats oder Kreistagssitzungen auch unter Pandemiebedingungen rechtssicher durchführen zu können. Insbesondere der Grundsatz der Öffentlichkeit stellte die kommunalen Gremien vor erhebliche Probleme. Im Thüringer Landtag wurden deshalb bereits Gesetzentwürfe verschiedener Fraktionen eingebracht, die diesem Umstand Rechnung tragen. Die bündnisgrüne Fraktion gab zudem ein Rechtsgutachten bei Prof. Michael Brenner von der Universität Jena in Auftrag. Im folgenden Interview erläutert er die Ergebnisse seines Gutachtens. 

Brenner

Herr Professor Brenner, vor welchen Schwierigkeiten standen die Kommunen während der sogenannten ersten Welle bei der Durchführung von Sitzungen?

Die Thüringer Kommunalordnung (ThürKO) bestimmt, dass Gremiensitzungen der Kommunen in Präsenzform stattfinden. Das Gesetz geht durchgehend davon aus, dass sich der Gemeinderat in Sitzungen trifft und auch Beschlüsse in Sitzungen fasst. Dieser gesetzlichen Vorgabe konnte während der sogenannten ersten Coronawelle wegen der gestiegenen Infektionszahlen und des anschließenden Lockdown jedoch nicht mehr hinreichend Rechnung getragen werden. Die Kommunen sahen sich daher mit der Herausforderung konfrontiert, Wege auszuloten, um einerseits ihren gesetzlichen Aufgaben nachkommen zu können, andererseits aber Infektionsrisiken soweit wie möglich zu reduzieren.

Warum sind die Sitzungen überhaupt notwendig? Hätten die Bürgermeister*innen und Landrät*innen nicht einfach von ihrem Eilentscheidungsrecht Gebrauch machen können?

Es gibt in der ThürKO eine ganz klare Aufgabenverteilung zwischen Gemeinderat und Bürgermeister. Während der Gemeinderat mit den direkt gewählten Gemeinderatsmitgliedern für die grundlegenden Angelegenheiten der Gemeinde zuständig ist und hierüber die entsprechenden Beschlüsse fasst, vollzieht der Bürgermeister – wenn man so will: lediglich – die Beschlüsse des Gemeinderats. Darüber hinaus ist er vor allem für die sogenannten laufenden Angelegenheiten der Gemeinde zuständig, mithin für das „Alltagsgeschäft“ einer Gemeinde. Diese Aufgabenverteilung würde durcheinandergebracht werden, wenn der Bürgermeister Entscheidungen, die an sich vom Gemeinderat zu treffen sind, an sich ziehen und damit an die Stelle des Gemeinderats treten würde. Daher kommt das Eilentscheidungsrecht des Bürgermeisters nur in Ausnahmefällen in Betracht, und zwar dann, wenn eine Angelegenheit außerordentlich dringlich ist und ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung des Gemeinderats mit Nachteilen für die Gemeinde verbunden wäre. Davon wird man im Regelfall bei kommunalen Entscheidungen nicht ausgehen können.

Folgt daraus, dass eine Änderung der ThürKO notwendig ist, um auf die nächste Ausnahmesituation vorbereitet zu sein, und wenn ja, welche Änderungen schlagen Sie vor?

Da der Gemeinderat auch in länger andauernden Ausnahmesituationen, wie zum Beispiel einer Pandemie, handlungsfähig bleiben muss, muss überlegt werden, ob es Alternativen zum gesetzlich festgeschriebenen Regelfall der Präsenzsitzungen gibt. Und solche Möglichkeiten gibt es, wenn man sich der heute vorhandenen technischen Möglichkeiten bedient, die ja in anderen Bereichen, etwa in der Wirtschaft, aber auch in der Universität, häufig schon gang und gäbe sind. Und sie sollten auch im kommunalen Raum genutzt werden, um zukünftig mit Ausnahmesituationen besser umgehen zu können. 

Grundvoraussetzung für solche Regelungen muss aber immer das Vorliegen einer Ausnahmesituation sein. Anders gewendet: Präsenzsitzungen müssen auch in Zukunft der Regelfall sein und müssen stets den Vorrang vor anderen Arten der Durchführung von Sitzungen haben. Alternativen können nur ausnahmsweise zum Tragen kommen, was bei einer Gesetzesänderung auch unmissverständlich klargestellt werden müsste. Wenig hilfreich wäre dabei das Umlaufverfahren, da hierbei die Öffentlichkeit nicht beteiligt werden könnte, was aber gerade auch bei Gemeinderatssitzungen ein unabdingbares, aus dem Demokratie- und Öffentlichkeitsgebot abzuleitendes zwingendes Gebot wäre. Praktikabel wären indes Videoübertragungen, da bei diesen trotz der räumlichen Trennung der Sitzungsteilnehmer nicht nur die Öffentlichkeit „zugeschaltet“ werden könnte, sondern insbesondere auch Gestik und Mimik der Sitzungsteilnehmer übertragen werden könnten und damit eine gewisse Vergleichbarkeit mit einer Präsenzsitzung hergestellt werden könnte. Diese Möglichkeit bietet eine Audioübertragung nicht. Doch muss bei einer solchen Videoübertragung sichergestellt werden, dass nicht nur die Sitzungsteilnehmer, sondern auch die Öffentlichkeit an der Sitzung ohne Störung teilnehmen können. Kommt es zu einer Störung, muss bis zu deren Beseitigung die Sitzung unterbrochen werden.

Ist es Personen nicht möglich, an einer Sitzung virtuell teilzunehmen – beispielsweise, weil sie über keinen Internetzugang verfügen –, müssen zur Wahrung des Öffentlichkeitsgebots für diese Personen Möglichkeiten der Teilnahme an einer Sitzung geschaffen werden. Eine solche Möglichkeit könnte darin bestehen, dass diesem Personenkreis ein Raum mit entsprechender technischer Ausrüstung – zum Beispiel im Rathaus – zur Verfügung gestellt wird, damit diese – unter Wahrung gegebenenfalls bestehender Abstands- und Hygieneregeln – virtuell an der Sitzung teilnehmen können. Dem Öffentlichkeitsgebot wäre dann hinreichend Rechnung getragen.

Was ist im Hinblick auf die Presseberichterstattung zu beachten?

Bei einer entsprechenden Gesetzesänderung muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass die Pressefreiheit gewahrt wird und die Vertreter der Presse von ihrem Recht der freien Berichterstattung ungehindert Gebrauch machen können. Das bedeutet, dass den Pressevertretern der ungehinderte Zugang zu Gemeinderatssitzungen auch dann ermöglicht werden muss, wenn diese virtuell stattfinden. Selbstverständlich gilt dies nicht für den Fall, dass die Öffentlichkeit von der Sitzung ausgeschlossen ist. Eine Grenze der Presseberichterstattung könnte aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich für den Fall zu ziehen sein, dass durch die Berichterstattung eine Störung der Funktionsfähigkeit des Gemeinderats bewirkt wird. Mit Blick hierauf empfiehlt es sich, bei einer Gesetzesänderung eine Regelung in die ThürKO aufzunehmen, wonach bei der Geltendmachung von Gründen, die für einen Ausschluss der Pressevertreter von Videoaufzeichnungen von Gemeinderatssitzungen sprechen könnten, eine Entscheidung des Gemeindesrats herbeigeführt werden muss. Diese Entscheidung wäre durch die Verwaltungsgerichte vollumfänglich überprüfbar.

Sitzung

Viele Kommunen, aber auch Mandatsträger*innen, besitzen derzeit nicht die technischen Voraussetzungen, um komplett digitale Sitzungen durchzuführen. Derzeit laufen die Haushaltsberatungen für das nächste Jahr. Muss bzw. sollte das Land die nötigen Mittel für die Anschaffung der Technik wie auch der Software bereitstellen, wenn diese Möglichkeit in der Kommunalordnung eröffnet wird?

Da uns das Coronavirus sicherlich noch einige Zeit erhalten bleiben wird und auch für die Zukunft vergleichbare Ausnahmesituationen nicht ausgeschlossen werden können, sprechen sicherlich gute Gründe dafür, im Rahmen der laufenden Haushaltsberatungen die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen, um sowohl Kommunen als auch Mandatsträgerinnen und -träger technisch im Falle einer entsprechenden Ergänzung der ThürKO in die Lage zu versetzen, zukünftig auch digitale Sitzungen durchzuführen. Gerade in Ausnahmesituationen, wie wir sie derzeit erleben, müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Kommunikation zwischen Gemeindebürgern und Gemeinderäten aufrechtzuerhalten, Transparenz im Zusammenhang mit der Arbeit des Gemeinderates zu ermöglichen und einer Entfremdung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten auf kommunaler Ebene entgegenzuwirken.

 

Wir danken Ihnen für die Erstellung des Gutachtens und dieses Gespräch.

 

Hier findet sich das: 

Gesetz zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung und anderer Gesetze