Die Anzahl der Todesopfer rechter Gewalt in Thüringen wird von staatlichen Stellen niedriger beziffert, als seitens zivilgesellschaftlicher Initiativen. Opferberatungsstellen gehen von acht Todesfällen durch rechte Gewalt in Thüringen seit 1990 aus, offiziell anerkannt wurde bisher lediglich ein Fall. Über einen der Todesfälle, der offiziell nicht als „Todesopfer rechter Gewalt“ anerkannt ist, berichtete der kürzlich erschienene Dokumentarfilm der Filmpiratinnen und Filmpiraten „Das blinde Auge - Ein Todesfall in Thüringen“.
Katharina König-Preuss (LINKE) und Diana Lehmann (SPD), die beide bei der Premiere des Dokumentarfilmes anwesend waren, erklären dazu: „Der tiefgründig recherchierte Dokumentarfilm macht deutlich, dass sowohl die wahrscheinlich sozialdarwinistische Motivation des Täters als auch seine gefestigte rechte Ideologie damals durch Ermittlungsbehörden ignoriert wurden.“
Katharina König-Preuss (Sprecherin für Antifaschismus), Diana Lehmann (Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus) und Madeleine Henfling (Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fordern vor diesem Hintergrund eine erneute und vor allem wissenschaftliche Überprüfung mindestens der sieben Todesfälle in Thüringen, bei denen zivilgesellschaftliche Initiativen ein rechtes Tatmotiv erkennen.
Vorbild sollten die Forschungsprojekte aus Brandenburg und Berlin sein. In Brandenburg war das „Moses Mendelssohn Zentrum" mit der Überprüfung von Altfällen „Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt“ beauftragt worden. In Berlin beauftragte das Landeskriminalamt Forscher des Zentrums für Antisemitismusforschung, Tötungsverbrechen, die der Tagesspiegel im Gegensatz zur Polizei als rechts motiviert eingestuft hatte, erneut zu überprüfen. Beide Forschungseinrichtungen kamen in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass bei mehreren Tötungen ein rechtes Motiv vorlag. In Brandenburg verdoppelte sich nach Vorlage des Abschlussberichts die offizielle Zahl von Todesopfern rechter Gewalt, die Berliner Polizei schloss sich dem Ergebnis der Forschungsgruppe an und stuft sechs Tötungsverbrechen mit sieben Opfern nachträglich als rechts motiviert ein.
„Die Überprüfung der durch zivilgesellschaftliche Initiativen und Presse aufgelisteten Todesfälle rechter Gewalt in Thüringen seitens einer unabhängigen und wissenschaftlichen Stelle ist angesichts der Ergebnisse aus Brandenburg und Berlin dringend erforderlich. Das ist ein wesentlicher Schritt zur Aufarbeitung und Erfassung rechter Gewalt und eine solche sind wir den Opfern rechter Gewalt, aber auch deren Hinterbliebenen schuldig“, so König-Preuss, Lehmann und Henfling. Die Fachpolitikerinnen werden mit den zuständigen Ministerien nun erörtern, in welcher Form die erneute Überprüfung schnellstmöglich stattfinden kann. „Da es in Berlin und Brandenburg bereits erfahrene Forschungsgruppen gibt, sollte auf deren Expertise zurückgegriffen werden, um auch für Thüringen eine Überprüfung der Todesfälle rechter Gewalt durchzuführen.“
Hintergrund:
Im Nachgang der Selbstenttarnung des NSU wurden bundesweit unaufgeklärte Todesfälle sowie die von Zivilgesellschaft aufgelisteten Todesfälle rechter Gewalt durch Sicherheitsbehörden überprüft. Thüringen stellte keine weiteren Todesfälle bis auf den bisher bereits anerkannten Fall fest.