Bericht zur Netzwerktagung „Opferschutz im Justizalltag und Strafverfahren“ vom 21. Juni 2023

Astrid Opferschutz

Im Rahmen der Netzwerktagung wollten wir erarbeiten, wie Opferschutz im Justizalltag verbessert werden kann, welche rechtlichen Spielräume besser genutzt und welchem gerichtlichen Verfahrensabläufe und Qualitätsstandards etabliert werden können. Außerdem wollten wir die Stärkung der Betroffenenperspektive im Strafverfahren - insbesondere über Möglichkeiten zur Verbesserung des staatlichen Umgangs mit von rechter oder rassistischer Gewalt Betroffenen oder Fälle häuslicher Gewalt – sowie über die Erhöhung der Anzeigequote in solchen Fällen, diskutieren. Bundesweit wurden bereits vereinzelt Schwerpunktabteilungen oder Zentralstellen für Hasskriminalität und Rechtsextremismus eingeführt. Mit unterschiedlichsten Expert*innen haben wir auch über eine Etablierung derartiger Schwerpunktabteilungen in der Thüringer Staatsanwaltschaft gesprochen.

Zu Beginn machte Rechtsanwältin Kati Lang, Opfer- und Nebenklageanwältin, deutlich, dass aus ihrer Sicht eine Leerstelle in der Anwaltschaft bei Gewaltschutzverfahren, insbesondere mit Blick auf die begrenzte Anzahl an Anwält*innen mit diesen Rechtsgebieten, besteht.

Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit stellte sie einen massiven Vertrauensverlust, insbesondere aus marginalisierten und von Rassismus betroffenen Communitys fest. Das hängt damit zusammen, dass regelmäßig rechte Chatgruppen oder ähnliches öffentlich werden. Gleichzeitig werden diese öffentlich weiter als „Einzelfälle“ behandelt. Es entsteht der Eindruck, dass Betroffene keine Ahnung haben bei wem sie sich mit einem Anliegen polizeilich melden können. Ferner sind die Disziplinarverfahren weiter dem Strafverfahren nachgelagert. Damit bleiben, je nach Vergehen, rechte Polizist*innen noch jahrelange Beamt*innen. Auch stellt Sie als Nebenklageanwältin immer noch fest, dass in Polizeiakten regelmäßig von „Südländern“ die Rede ist. Durch die Verbreitung solcher Vorstellungen in den Strafverfolgungsbehörden ist aus ihrer Sicht der Schutz der Polizei nicht für alle Menschen in Deutschland gleich erreichbar.

Im Weiteren, auch in der Folge der beschriebenen Verallgemeinerung durch Strafverfolgungsbehörden, fehlen weiterhin Dolmetscher oder diese werden für eine falsche Sprache gebucht Das führt, insbesondere im Prozess, zu einer massiven Einschüchterung der Betroffenen und hat Einfluss auf deren Aussage vor Gericht. Im Rückzug auf vermeintliche Objektivität geschieht regelmäßig Täter-Opfer-Umkehr, insbesondere bei der richtigen Wertung von Indizien muss hierauf der Blick gerichtet werden. Insbesondere Betroffene ohne Anwälte könnten im Prozess über Opferschutzbeauftragte informiert werden. Zwingend dafür ist jedoch die richtige Klassifikation der Tat durch die aufnehmenden Beamt*innen. Durch das Deutsche Institut für Menschenrechte wurde ein Handout mit Indikatorenliste zur Klassifikation als Rassismus entwickelt. Hier gibt Frau Lang die Empfehlung diese zur Prüfung von Rassismus heranzuziehen.

Im Anschluss daran weißt der Staatsanwalt Markus Oswald darauf hin, dass Hasskriminalität, im Vergleich zu hate crime in den USA, in Deutschland kein eigenständiger Straftatbestand ist. Es gibt die Regelungen in der RiStBV und den §46 Abs. 2 StGB, welche die Ermittlung vorschreiben und eine Strafmaßerhöhung ermöglichen. Hasskriminalität sei immer gruppenbezogen und demokratiefeindlich. Weiter führt Oswald aus, dass für die Anzeigemotivation der Betroffenen ausreichendes Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden notwendig ist. Deshalb versucht die Zentralstelle, auch wenn die Strafverfolgung und nicht der Opferschutz die zentrale Aufgabe ist, die Strafverfolgung neu zu denken und Ansprechpersonen für die Communitys vorzuhalten. Es wird versucht Einstellungen von Verfahren bei Hasskriminalität weitestgehend zu vermeiden. Bei Antragsdelikten werden die Betroffenen auf eine entsprechende Antragsstellung hinwiesen oder das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Die Staatsanwaltschaft informiert proaktiv über den Verfahrensverlauf und wirkt als Anklagebehörde drauf hin, dass die Vorurteilsmotivation festgestellt wird. Soweit möglich wird das in der Anklageschrift festgehalten. Der Staatsanwalt betont, dass ihnen die besondere Bedeutung dieser Feststellung für den Betroffenen bekannt ist.

Auf Rückfrage erklärt der Staatsanwalt, dass es massives Problem darstellt, wenn durch zivilgesellschaftliche Verbände abgeraten wird Straftaten anzuzeigen. Die Strafverfolgungsbehörden sind aus seiner Sicht in der Verantwortung hier Vertrauen herzustellen und sich dazu auch gegenüber Zivilgesellschaft zu öffnen. Als Beispiel führte Oswald das schwule Antigewaltprojekt MANEO in Berlin an, die eng mit der Zentralstelle kooperieren. Behörden müssen sich im Zweifel auch mal Kritik gefallen lassen. Alle Polizeistellen und Justizabteilungen können Verfahren an die Zentralstelle abgeben. Dafür ist beispielsweise das Vorliegen eines vorurteilsgeleiteten Schimpfwortes bereits ausreichend. Über Flyer bei den entsprechenden Einrichtungen der Communitys, mit klar erkennbaren Ansprechpersonen, sollen Betroffene ermutigt werden Straftaten zur Anzeige zu bringen. In Zusammenarbeit mit NGOs existieren auch mehrsprachige Flyer mit den notwendigen Informationen.

In der weiteren Diskussion, berichteten die teilnehmenden Gäste davon, dass Betroffene weiterhin noch häufig Erfahrungen von Täter-Opfer-Umkehr oder geringer Kenntnis von Justizbehörden über Hasskriminalität machen müssen. Der Vertrauensverlust in Strafverfolgungsbehörden führt auch zu einem Vertrauensverlust in die Demokratie. Vertreter*innen der Opferberatung ezra machten deutlich, dass die vier Grundsätze der europäischen Opferschutzrichtlinie unzureichend im Thüringer Justizalltag verwirklicht werden.

In einem abschließenden Workshop stellte Madeleine Henfling, innenpolitische Sprecherin unserer Fraktion, die Frage in den Raum, inwieweit eine Ansprechstelle in der Staatsanwaltschaft auch in Thüringen ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Zentralstelle oder Schwerpunktstaatsanwaltschaft sein kann. Kati Lang zieht Vergleich zu „Zora“ aus Sachsen. Hierbei ist „Zora“ ein schlechtes Beispiel, da diese zwar Akteneinblick in Verfahren nehmen können, aber keine eigenen Ermittlungskompetenzen haben und keine absolute Verschwiegenheit besteht bzw. auch von Amts wegen ermittelt werden muss, auch wegen den Willen von Betroffenen. Daher die Empfehlung sich eher an Berlin zu orientieren.

Weiter wurde diskutiert, ob es Aufgabe eines Staatsanwaltes sein kann zu dem justiziellen Verfahrensablauf zu informieren. Hierbei stellt sich die Frage der Belastung der Staatsanwaltschaft durch Anfrageaufkommen. Dem widerspricht Staatsanwalt Oswald mit Verweis auf die Bedeutung der Ansprechbarkeit und den Kontakt, insbesondere zu den Verbänden. Weiter geht es um die Rolle von Sozialen Diensten in der Justiz und die Unterstützungsleistungen für Betroffene im ländlichen Raum.

Aus der anwesenden Richter*innenschaft wird auf eine notwendige Bewusstseinsschaffung bei Richter*innen hingewiesen. Die Sorge nach verhärteten Fronten im Zuge der medialen Auseinandersetzung um kontroverse Urteile der Thüringer Justiz wird geäußert. Neben Fortbildungen wird sich ein Austauschraum der Richter*innenschaft mit Staatsanwalt, NGOs und Wissenschaft gewünscht. Aufgabe des Ministeriums wäre es diesen zu organisieren. Hierzu muss aber auch in der Institution die Offenheit vorhanden sein.

In den oben genannten Austausch könnte auch die Kriminalpolizei einbezogen werden. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die Staatsanwaltschaft nicht aus der Verantwortung zu nehmen ist. Sie kann Einwirkungen auf die Ermittlungen nehmen, ohne Anklage der Staatsanwaltschaft kommt das Verfahren nicht vor Gericht oder wird nicht sanktioniert.

Weiter werden mögliche hauptamtliche Opferschutzbeauftragten bei der Polizei thematisiert. Hierbei ist zu beachten, dass die bestehenden Opferschutzbeauftragten in den Landespolizeiinspektionen für alle Opfergruppen zuständig sind, aber nicht spezifisch geschult und fähig. Entsprechend können diese wahrscheinlich gut zu beispielsweise Wohnungseinbrüchen beraten, aber möglicherweise weniger bei häuslicher Gewalt oder Rassismus.

Es besteht Einigkeit, dass der Zugang zu psychosozialer Prozessberatung und insbesondere die Informationen über die Verfügbarkeit verbessert werden müssen. Für den Opferschutz braucht es zudem Diversität in der Justiz, Schulungen, Rückzugsräume für Betroffene sowie bei Bedarf die Schwärzungen privater Adressen. Problematisiert wird, dass Richer*innen bestehende Angebote an Fortbildungen nicht ausreichend wahrnehmen.

Die Implementierung von Leitfäden, um Qualitätssicherung bei Staatsanwaltschaft zu erreichen, wird als zielführend erachtet. Durch die Teilnehmenden wurde auch betont, dass rechtliche Regelung im Zweifel der Einführung eines Leitfadens vorzuziehen wäre. Ferner wird kritisiert, dass es unzureichend Fachliteratur und Kommentare in dem Themenbereich, beispielsweise für rassistische Gewalt und die Anwendung des §46 Abs. 2 StGB, gibt.