Im Jahr 2014 überfielen Neonazis der Bruderschaft Thüringen eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt. Dabei wurden die Betroffenen schwer- teils lebensgefährlich verletzt. Über Jahre wurden die Täter*innen nicht rechtswirksam verurteilt. Nach sieben Jahren erhielten sie im vergangenen Jahr nun Bewährungsstrafen, trotz der schwerwiegenden Straftat mit zahlreichen Verletzen. Betroffene sind bis heute traumatisiert, auch aufgrund des Eindrucks eines Justizversagens und unzureichenden Schutzes vor den Täter*innen. Aktuell stehen die Täter*innen auch im Zusammenhang mit einem Verfahren der organisieren Kriminalität vor Gericht. Genaueres dazu ist hier nachzulesen.
Nachdem im ersten Verfahren noch Haftstraften verhängt wurden, hob der Bundesgerichtshof das Urteil aufgrund von Verfahrensfehlern auf und wies es zur erneuten Entscheidung zurück. Im zweiten Verfahren am Landgericht Erfurt wurden dann, u.a. zur Abkürzung des Verfahrens, den Täter*innen sogenannte Verständigungen im Verfahren angeboten. Man schloss Deals mit den Täter*innen, um Geständnisse für die Tat zu bekommen. Eine Verständigung kommt nur mit der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zustande. In dem Zusammenhang wurden Bewährungsstraften als Rechtsfolge verhängt. Die Nebenkläger*innen kritisieren die Verständigungen, auch weil die Betroffenen dabei übergangen und entgegen der Empfehlung der Nebenklage die Deals eingegangen wurden. Zudem galten die Deals auch für die Haupttäter. Trotz der Verständigung mussten die Betroffenen erneut vor Gericht aussagen. Dabei wurden sie in eine Opferrolle gedrängt, zeitgleich die Betreuungsarbeit der Opferberatungsstellen erschwert und Opferschutzräume nicht ausreichend zur Verfügung gestellt.
Durch die Petition der Omas gegen Rechts mit dem Titel „Keine Deals mit Nazis“ mit 2.697 Unterschriften auf der Plattform des Landtags, zahlreichen weiteren auf einer Online-Plattform, wurde dies nun Thema im Landtag. Vergangenen Donnerstag erfolgte die Anhörung zur Petition vor den Abgeordneten und dem Justizministerium und vielen Zuschauer*innen.
Die Petent*innen traten zusammen mit zwei Rechtsanwält*innen der Nebenklage und der Opferberatungsstelle ezra auf. Es wurde deutlich, dass das Land Thüringen Spielraum haben könnte im Rahmen des Weisungsrechts an die Staatsanwaltschaft allgemeine Regelungen zum Umgang in solchen Verfahren zu erlassen. Die Staatsanwaltschaften müssen sog. Deals bzw. Verständigungen des Gerichtes mit den Täter*innen zustimmen, damit sie durchgeführt werden können. Die Rechtsanwält*innen machten klar, dass aufgrund der Zugehörigkeit der Staatsanwaltschaften zur Exekutive kein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz erfolgt, wenn das Ministerium allgemeine Richtlinien in Anknüpfung an die RiStBV (Richtlinien im Strafverfahren und Bußgeldverfahren) erlässt. Dem steht auch die im Koalitionsvertrag verankerte weitergehende Einschränkung des Weisungsrechts nicht entgegen, welche auf Grundlage europäischer Rechtsprechung die Möglichkeiten zur Weisung im Einzelfall weiter einschränken soll. Die Nutzung der allgemeinen Weisung der Staatsanwaltschaften ist auch in anderen Bundesländern gelebte Praxis.
Maßgeblich ist hier die Rücksichtnahme auf die Betroffenen, welche bereits nach § 4c RiStBV verankert ist. Demnach ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet die Interessen der Betroffenen im Strafverfahren zu wahren und die Belastungen möglichst gering zu halten. Zudem gilt es die einschlägige Strafzumessungsvorschrift § 46 StGB zur Strafschärfung in Fällen rassistischer, antisemitischer oder anderer menschenverachtender Beweggründe zur Geltung zu bringen. Unklar bleibt, ob es für eine stärkere Einbeziehung der Betroffenenperspektive eine Änderung des Strafrechts braucht oder dies im Rahmen des Weisungsrechts bereits umsetzbar ist. Hierzu findet im Nachgang ein weiterer Austausch zwischen den Beteiligten statt. Konsens bestand darin, dass die Möglichkeit von nach § 257c StPO Deals bzw. Verständigungen zu erzielen als Instrument beibehalten werden muss.
Im Weiteren forderten die Petenten und Opferberatungsstelle ezra, dass in Thüringen ein*e Opferschutzbeauftragt*e eingeführt wird, welche den Opferschutz an den unterschiedlichen Schnittstellen zu behördlichen Handeln und Prozessen sicherstellen soll. Anknüpfend daran muss auch für die ausreichende Ausstattung und die Verfügbarkeit von Opferschutzräumen in Gerichten gesorgt werden. Diese Notwendigkeit besteht auch in Zusammenhang mit häuslicher Gewalt oder anderen Deliktbereichen. Wir unterstützen diese Forderung und hoffen auf eine gute Zusammenarbeit, um in den kommenden Monaten den Opferschutz in Thüringen zu stärken.