Bericht aus dem NSU-Untersuchungsausschuss

Im öffentlichen Teil der Sitzung am 10.07.2012 wurden die Zeugen Harm Winkler (Präsident des TLfV a.D.) Prof. Dr. Michael Lippert (Staatssekretär a.D.) Franz Schuster (Innenminister a.D.) vernommen. Harm Winkler (Präsident des TLfV a.D.) Er sei ab Dezember 1991 Leiter des TLfV, nicht formaljuristisch Präsident, gewesen und im April 1994 in das TIM versetzt worden. Als er dort seine neue Position antreten wollte, habe es kein Dienstzimmer für ihn gegeben, so dass er „drei Tage spazieren gegangen sei“, bis ihm ein solches zur Verfügung gestellt worden sei. Aufgrund von Vorwürfen gegen ihn, die er in der Bild-Zeitung über sich lesen musste, habe er damals ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst eingeleitet. Er habe aber hierüber nichts mehr gehört. Ebenso wenig habe er dazu eine Rückmeldung vom damaligen Innenminister Schuster oder Staatssekretär Lippert erhalten. Neben Herrn Nocken, gegen den der GBA ermitteln haben soll, habe er Bedenken gegen Herrn S. gehabt. Ob das Ermittlungsverfahren gegen Nocken, auf das sich Winkler bezog, bei dessen Amtsantritt noch lief oder bereits eingestellt war, wusste der Zeuge nicht mehr. Seine Bedenken gegen Nocken seien nicht gehört worden. Darüber hinaus hatte er noch wegen eines zweiten Gesichtspunktes Vorbehalte gegen Nocken. Sicherheitsbedenken hatte Winkler noch gegenüber anderen Mitarbeitern. Er führte noch aus, dass er für das Amt ein Personalkonzept hatte, zu dem sich das TIM nicht geäußert habe. Ob auch das TIM ein solches ausgearbeitet habe, wisse er nicht. Zur Anwerbung konnte er keine Angaben machen. Informationen über das Personal seien über das TIM, Referat 25, in das Amt gelangt. MitarbeiterInnen mit rechtsextremem Hintergrund habe er nicht eingestellt. Im Gegensatz zu Roewer bekräftigte er, dass es unter den MitarbeiterInnen, die er als „Korsettstangen“ bezeichnete, ausgebildete VerfassungsschützerInnen gab. Auch bei den übrigen MitarbeiterInnen bestand an Ausbildung kein Mangel, wobei der mittlere und gehobene Dienst noch entsprechend ausgebildet wurde. Die Ansicht, dass deren Ausbildung zu allgemein gehalten war, wollte er nicht teilen. Man habe versucht vorrangig „Thüringer Landeskinder“ einzustellen. Der erlernte war Beruf zweitrangig. Die BewerberInnen mussten gewisse intellektuelle Fähigkeiten mitbringen, da diese dann die erforderliche Weiterbildung erfuhren. Zuletzt waren diese in den Leistungen besser als die MitarbeiterInnen aus dem Westen. Er wiederholte nochmals, dass die Sacharbeit im Amt durch die Eingriffe des TIM beeinträchtigt war. Ebenso führte er wiederum aus, dass einer seiner Mitarbeiter, Herr Horst Masopust, bei einem Essen StS Lippert auf ein Vorgehen gegen Christian Worch ansprach. Lippert habe dann geantwortet, haben sie nichts Besseres zu tun. Die Anwerbung von Tino Brandt als V-Mann sei nicht mehr in seine Amtszeit gefallen. Es seien auch noch keine Vorbereitungshandlungen in die Wege geleitet worden. Er bezeichnete allgemein die Anwerbung von V-Leuten als schwierig und langwierig (bis zu einem Jahr). Die Anwerbung von V-Leuten fing damals erst an. So versuchte man Leute von unten zu werben. So hatte das TLfV nur wenige Quellen. Mit Blick auf die Vorgehensweise von Roewer bezeichnete er es als kontraproduktiv, dass der Präsident des Amtes selbst operativ tätig sei. Er halte es für möglich, dass dieser selbst V-Leute wirbt oder dass entsprechende Aspiranten an diesen selbst herantreten. In seiner Zeit habe es dies aber nicht gegeben. Er hielt es für möglich, dass ein bis zwei Tage bevor Roewer ins Amt kommen sollte, ein Schreiben des TIM bei ihm eingegangen sein könnte, in dem ihm mitgeteilt worden sei, dass ein Herr Dr. Roewer, den er nicht kannte, Präsident des TLfV werde. Eine geordnete Übergabe an Roewer habe jedoch dann nicht stattgefunden. Er habe dies Roewer angeboten. Daran habe dieser jedoch keinerlei Interesse gehabt. Prof. Dr. Michael Lippert (Staatssekretär a.D.) Der Zeuge Michael Lippert war bis November 1994 Staatssekretär im TIM. Er schied als politischer Beamter aufgrund des Regierungswechsels aus dem Amt. Den Vorwurf, er habe im Wahlkampf 1994 den saarländischen Verfassungsschutz zu Wahlkampfzwecken missbraucht, wies er auch nach Vorhalt des Artikels im Spiegel 43/1994 zurück. Er habe nicht um Material zum damaligen Staatssekretär Dewes gebeten. Er sei nicht gegen den Artikel vorgegangen, da dies nichts bringe, weil der Regierungswechsel schon im Gange war. Zu Beginn führte er an, dass er im Vorfeld im TIM angerufen und um Akteneinsicht gebeten habe, welche ihm verwehrt worden sei. Damals seien nicht nur das TLfV, sondern alle Ämter aufzubauen gewesen. Im Jahr 1990 stellte sich die Aufgabe den zentralistischen Behördenapparat der DDR ab- und neue staatliche und kommunale Strukturen aufzubauen. Dem TIM waren der Katastrophen- und Brandschutz, der Abzug der russischen Truppen, die Polizei sowie der Verfassungsschutz unter Berücksichtigung der Lage der neuen Länder zugewiesen. Hierbei waren die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die einzelnen Maßnahmen zu koordinieren, Dienst- und Fachaufsicht einzurichten sowie Personal zu beschaffen. Auch das TIM war zunächst aufzubauen. Neben der eigentlichen Schaffung nebst Personalfindung und Strukturierung der Polizei war zunächst eine gesetzliche Grundlage, PAG, zu erarbeiten. Im Rahmen des TLfV musste ebenfalls eine gesetzliche Grundlage, ThürVSG, geschaffen, der Datenschutz gewährleistet, das Trennungsgebot beachtet und Personal rekrutiert werden. Eine besondere Aufgabe bestand in der Aufarbeitung der Stasi. Am 29.10.1991 wurde das ThürVSG verabschiedet. Gleichzeitig neben dem Aufbau des Amts musste die zuständige Abteilung im TIM eingerichtet werden. Als besondere Herausforderung sah er es, den entsprechenden Abteilungsleiter zu finden. Schließlich wurde diese Stelle mit dem Juristen Dr. Heuer besetzt, den Lippert als glänzend und jemanden, der seine ganze Arbeitskraft mit Freude eingesetzt hat, beschrieb. Beim Aufbau des Amtes seien viele Versuche einen Leiter des TLfV zu finden fehlgeschlagen. Schließlich kam Herr Winkler dann im Winter 1991 vom Bundesverteidigungsministerium. Später kamen dann Fragen bei der Besetzung der Stellen der Abteilungsleiter im TLfV auf. Im Frühsommer 1993 wurden der Bereich Beschaffung und Auswertung in zwei getrennte Abteilungen, wie er es kenne, aufgeteilt, so dass das TLfV nicht mehr nur aus drei sondern aus vier Abteilungen bestand. Im Frühjahr 1994 wurde Roewer aus dem BMI nach Thüringen abgeordnet, im Sommer 1994 versetzt und zum Präsidenten des TLfV ernannt. Die Aufsicht über das TLfV wurde durch die Abteilung 2 im TIM, die Parlamentarische Kontrollkommission und das Parlament ausgeübt. Ende 1990 wurde auch die „Sicherheitslage“ eingeführt, an der die Abteilungen 2 und 4 des TIM, die Abteilung Strafrecht des TJM, TLKA, Polizei und das TLfV teilnahmen und Informationen austauschen konnten. Dies sei eine sehr gute Einrichtung gewesen. Im Bereich des REX sei zu diesem Zeitpunkt eine erhöhte Demonstrationstätigkeit festzustellen, Thüringen als Transitland betroffen und gewaltbereite, aber führerlose Skin-Gruppen anzutreffen gewesen. Es sei durch Ingewahrsamnahme und die Anwendung des Versammlungsrechts ein konsequenter Verfolgungsdruck aufgebaut worden. Thüringen konnte dann sogar in Hessen Amtshilfe leisten. Es wurden jedoch weiter keine zentral gesteuerten Strukturen festgestellt. Winkler habe das TLfV kommissarisch geleitet und selbst den Auftrag gehabt, Personal zu generieren. Zwei Positionen der Abteilungsleiter seien nicht besetzt worden. Diese seien dann im Frühjahr 1993 durch das TIM bestellt worden. An Sicherheitsbedenken bei MitarbeiterInnen könne er sich nicht erinnern. Lediglich in einem Fall, Mitarbeiter aus Hessen habe es solche Bedenken gegeben, die sich dann aber in Luft aufgelöst hätten. Dieser habe zunächst nach Hessen zurückkehren müssen, um diese Probleme zu klären. An den Zeitpunkt könne er sich nicht mehr erinnern. Entgegen seiner Behauptung, habe Winkler stets Zugang zum Innenminister oder ihm gehabt. Ein Zerwürfnis von Winkler und Schaper kenne er nicht. Eine Auseinandersetzung könne lediglich dadurch entstanden sein, dass das TLfV den Entwurf des ersten Verfassungsschutzberichts nicht vorlegte, so dass das TIM diesen selbst erstellte. In diesem Zusammenhang habe Herr Schaper auf die Vorlage des Entwurfs gedrängt. Von einem „Reinregieren“ des TIM in das TLfV könne keine Rede sein, da dies lediglich Instrumente der Dienst- und Fachaufsicht waren. Er könne sich zudem nicht vorstellen, dass das TIM V-Leute in das TLfV einschleuse. Das TIM führe zudem keine V-Leute. Es bestanden Führungsprobleme bei Winkler, da sich MitarbeiterInnen im TLfV darüber beschwert hätten, dass die Führung des Amtes nicht gut sei. Zur Mitarbeiterführung, Vorhalt Mitternachtssitzungen und „Schikane“, merkte er an, dass dies Zeiten waren, in denen zum einen rasches Handeln gefragt war und zum anderen unglaublicher Druck auf allen Ebenen herrschte. So konnte es eben dauern, bis Sitzungen beendet waren und dann noch ein Gesetzesentwurf in der Nacht zur Vorlage umgesetzt werden musste. So könne er das Bild, das Winkler und Kranz von ihm gezeichnet hätten, nicht nachvollziehen. Er habe sich immer vor seine Leute gestellt. Der Druck sei aber auch segensreich gewesen, da zu den Demonstrationen meist entsprechende Informationen geliefert werden konnten. Zu Winkler merkte er an, „das TLfV sei keine kommunale Selbstverwaltungsbehörde“, zu Kranz, man habe nicht alle dessen Wünsche habe erfüllen können und seine Auftritte nicht eingeschränkt. Auf Roewer angesprochen antwortete er, dass es ihm unbekannt sei, wie Roewer ins Amt gekommen wäre. Dieser käme aus dem Bundespresseamt und sei zuvor im BMI beschäftigt gewesen. Persönlich habe er Roewer nicht gekannt. Möglicherweise seien sie sich im BMI begegnet. Es hätten aber weder persönliche noch berufliche Kontakte bestanden. Auf die Frage, wer denn den Auftrag zur Suche eines Präsidenten für das TLfV auslösen könne, wusste er zunächst keine Antwort. Er fügte an, dass es eventuell Dr. Heuer gewesen sein könnte. Roewer war nach seinen Angaben für die Tätigkeit geeignet. So habe man nach dessen Amtsantritt eine Verbesserung im TLfV festgestellt. Im Vorfeld der Ernennung Roewers sei er diesem nicht nachgereist. Er könne sich auch an die von Roewer geschilderte Ausstandsfeier nicht erinnern. Schreiben habe er auch nicht verteilt. Es sei Ihm erinnerlich, dass der damalige Leiter der Abteilung 3 an diesem Tag Roewer einbestellt habe, um diesem die Ernennungsurkunde zu überreichen. Dieser habe aber keine Zeit gehabt, was ihn geärgert habe. Die Urkunde müsste wohl vom Ministerpräsidenten unter-schrieben worden sein. An Gespräche mit Schuster zu diesem Thema könne er sich nicht erinnern. Auf den Vorhalt der Aussage Winklers zum Fall „Worch“ sagte er nur, dass er sich an diese Begebenheit nicht erinnern könne. Für ihn sei die Aussage Roewers, dass die Mitarbeiter im TLfV fachlich nicht geeignet gewesen seien, nicht nachvollziehbar. Auf die Frage nach rechten Strukturen antwortete er, dass man damals in Saalfeld - Rudolstadt keine verdichteten Strukturen festgestellt habe, sondern Skinheads und nur spontane, keine geplanten Geschehnisse. Ab 1994 wurde der Schwerpunkt der Arbeit auf den Bereich REX verlagert. Er habe auch keinen Zweifel daran gehabt, dass der Informationsaustausch zwischen TLfV und der Polizei funktioniert habe. Auch sei in der Ausbildung der Sicherheitskräfte das Augenmerk auf die Sensibilisierung gegen Rechts gelegt worden. Franz Schuster (Innenminister a.D.) Als er sein Amt antrat, stand das TLfV schon. In Bezug auf die Umstrukturierung des Amtes habe er mehrfach mit StS Dr. Lippert gesprochen. Aufgrund der Beschwerden der Mitarbeiter, die er sehr ernst genommen habe, habe er zwei Tage lang Gespräche mit diesen geführt. Auch mit Herrn Winkler sei er sehr intensiv in Beratungen eingestiegen. Der Umbau des Amtes an der Spitze erfolgte nicht mit dem Ziel jemandem zu kündigen, sondern für diesen eine neue Verwendung zu finden, die besser passe. Der Entscheidung für Roewer folgte die Entscheidung Herrn Winkler in das TIM zu versetzen. Im Amt herrschten wohl Probleme, aber entgegen der Aussage Roewers kein Chaos. Die Entscheidung für Roewer war keine überstürzte. Er habe diesen vorher nicht gekannt. Die Stelle des Präsidenten des TLfV sei nicht ausgeschrieben gewesen. Er wisse auch nicht, wer Roewer empfohlen habe, sich auf diese Stelle zu bewerben, oder welche Verbindungen dieser nach Thüringen habe. Dies habe ihm Roewer auch nicht mitgeteilt. Roewer habe sich mit ihm telefonisch in Verbindung gesetzt und auf die Stelle beworben. Auf die Frage, wer Roewer letztlich vorgeschlagen habe, antwortete er, dass das Kabinett dies beschlossen habe. Er habe eine neutrale Zuleitung unterschrieben, wisse aber nicht mehr, ob er an dieser Sitzung teilgenommen habe. Er könne es auch ausschließen, dass er eine Vorlage unterschrieben habe, die die Einstellung Roewers befürworte. Er sei über diesen gar nicht genügend informiert gewesen. Roewer einen Job zu vermitteln, habe er in keinem Falle versucht. Da er zu diesem keinerlei dienstlichen Kontakt gehabt habe, habe er auch mit Sicherheit nicht zu Roewer Stellung genommen oder diesen gar empfohlen. Zuvor habe er sich aber beim BMI und bei Dr. Beckstein, damaliger Staatsminister des Inneren in Bayern, informiert. Das BMI habe keine negativen Erfahrungen, Beckstein keine Erfahrungen mit Roewer gemacht. Befragt zur Arbeitsteilung und Zusammenarbeit von Polizei und TLfV antwortete er, dass Dr. Lippert das Alltagsgeschäft betraut habe, der im Zweifel bei Problemen die Gespräche geführt habe. Er wies hierbei darauf hin, dass die Polizeiorganisation komplett aufzubauen war. Die neuen Abteilungsleiter Nocken, Bermen und Martin wurden auf Empfehlung aus dem TIM, also Dr. Lippert bzw. Abteilungsleiter, eingestellt. Diese will er vorher nicht gekannt haben. Im Falle Nocken habe er aufgrund der „Affäre“ angeordnet, dass dieser zunächst nach Hessen zurückkehre, um die Angelegenheit zu klären. Es gab wohl ein Ermittlungsverfahren gegen diesen, welches sich aber „in Nichts aufgelöst habe“. Bei weiteren MitarbeiterInnen habe er keine Kenntnis über Ermittlungsverfahren oder Affären erhalten.

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