Aktuelles aus dem Untersuchungsausschuss „7/2 Treuhand“

NSU - Untersuchungsausschuss

Kaliwerk Bischofferode – Ein Wirtschaftskrimi?

Die Sitzung des Treuhand-Untersuchungsausschusses am 30. Mai sollte sich ausschließlich mit der Schließung der Kaligrube Bischofferode Ende 1993 befassen. Die Zeugenliste mit den Bergleuten Gerhard Jüttemann und Günter Henkel, dem potentiellen Investor Johannes Peine sowie dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Mitteldeutschen Kali AG (MdK) Dr. Ulrich Steger versprach eine spannende Sitzung zur umstrittenen Fusion der Kaligruben in Ost und West zu werden. Unser Abgeordneter Olaf Müller leitete wie gewohnt den Ausschuss als Vorsitzender.

Der erste Zeuge, Gerhard Jüttemann, ab 1990 Betriebsrat in Bischofferode, berichtete von vollen Auftragsbüchern des Kaliwerkes. Die Lagerstätte reichte, nach seinem Bericht, noch für fast 50 Jahre. Er beklagte die Ungerechtigkeit der Kali-Fusion. Im Ergebnis blieben im Osten zwei, im Westen sechs Kaligruben. Für Jüttemann ist das Ende von Bischofferode bis heute eine „Schweinerei“. Die Übernahme der Grube durch den Investor Peine wäre politisch verhindert worden. K+S profitierte von 1,044 Mrd. DM Beihilfen und Verlustübernahmen von bis zu 90 %. Von der geplanten Fusion habe man erst am 9. Dezember 1992 erfahren: Die Betriebsleiter wurden in die Zentrale der MdK nach Sondershausen beordert. Im Zuge der Fusion sollten auch Merkers und Bischofferode geschlossen werden, nur Zielitz und Unterbreizbach sollten bleiben. Unternehmer Peine hatte bereits den Kalibetrieb in Deusa übernommen, so sei man auf ihn aufmerksam geworden. Die Belegschaft war bereit, mit ihm zu gehen. Es hätte viele Gespräche mit Minister Trautvetter und MP Vogel gegeben. Das Land hätte immer ein Vorkaufsrecht gehabt. Man hätte das Angebot Peines annehmen können, 51 % der Anteile zu übernehmen. Peine selber hätte mit 49 % das operative Geschäft übernommen. Das Land hat aber abgelehnt. Laut Jüttemann sollte Johannes Peine von Anfang an keine Chance bekommen. Am 30. Juni 1992 hatte der Treuhandausschuss des Bundestages der Fusion zugestimmt. Das war das Signal für die Kollegen, mit dem Hungerstreik zu beginnen.

Zeuge Johannes Peine schloss direkt daran an. Seine geschäftlichen Beziehungen in die ehemalige DDR begannen lange vor 1990. Er hatte bereits die Kali-Fabrik in Deusa übernommen, kam dadurch in Kontakt zu Bischofferode und sah Synergien beider Firmen. Im Mai 1993 reichte er sein Konzept zur Übernahme der Grube bei der Treuhand ein. Am 17. September wurde er von der Treuhand aufgefordert, ein neues Konzept mit weniger Wettbewerb vorzulegen, welches am 9. Oktober 1993 übersandt wurde. Zu der Zeit, so Peine, hatte er 400 Mitarbeiter*innen, 80-100 Mio. DM Umsatz, u.a. 40 LKWs, eine eigene Reederei in Lübeck, eine Lagerhalle in Rostock. Das Konzept enthielt Absichtserklärungen von Partnerfirmen und Abnehmer*innen, u.a. in Norwegen. Peine führte aus, dass er nichts über die bereits vereinbarte Kalifusion wusste, sonst hätte er diese Investition nicht verfolgt. Bis heute weiß er nicht, warum sein Konzept abgelehnt wurde. Plötzlich hätten dann die Banken vor der Tür gestanden und kündigten ihm vorzeitig Kreditverträge. Er war nie insolvent, das Ganze kostete ihn aber sein gesamtes damaliges Vermögen und bedeutete die Trennung von seinen fast 400 Mitarbeiter*innen. Bis 2016 zahlte er zurück. An positive Kontakte zur Landesregierung konnte er sich nicht erinnern. Wirtschaftsminister Bohn hätte nicht hundertprozentig hinter seinem Konzept gestanden. Der verantwortliche Treuhanddirektor Schucht habe ihn nicht für voll genommen. Explizit abgeraten habe ihm aber auch niemand. Die spätere Flutung der Grube habe zur „Vernichtung von hochqualifizierten Rohstoffen“ geführt. Einzig K+S habe laut Peine davon profitiert.

Der dritte Zeuge, Bergmann Günter Henkel, war Betriebsleiter in der Grube Bischofferode. Die Grube hätte als einzige im Südharz Vorräte für 40 Jahre Weiterbetrieb gehabt, berichtete er. Er kannte und unterstützte Peines Konzept und war überzeugt, dass es ein Meilenstein für die Weiterexistenz des Werkes hätte sein können. Am 12. Dezember 1992 wurden die Führungskräfte nach Sondershausen in die MdK-Zentrale bestellt: Es wurde die Schließung verkündet, wenn sich die Auslastung nicht verbessere. Dagegen regten sich erste Proteste noch Ende 1992, die in einen Arbeitskampf mündeten. Henkel führte aus, dass der damalige Landrat des Landkreises Worbis Kontakt zu Peine aufgenommen habe. Sie hofften auf eine Chance. Er sei selber mehrfach in Bonn zu Gesprächen gewesen. Auch den für die Genehmigung der Fusion zuständigen EU-Kommissar van Miert habe er in Brüssel getroffen. Jener habe sich vorstellen können, dass Bischofferode auch außerhalb der deutsch-deutschen Fusion existieren könne. Henkel sagte, dass es kein Interesse an Bischofferode gab. Die Herren der MdK hatten den Auftrag, die Fusion durchzuziehen. Seit der Währungsunion hätte man aber in Bischofferode eine sehr gute Entwicklung genommen: Es wurden 58 t pro Mann und Schicht erreicht, bei K+S waren es ca. 60-62 t. Auf Nachfrage erklärt Henkel ausdrücklich, dass ein ostdeutscher Verbund erfolgreich gewesen wäre, von K+S hätte bald niemand mehr gesprochen. Siegmundshall war deren Vorzeigebetrieb. Der sei mittlerweile geschlossen, da deren Vorräte erschöpft waren. Zielitz und Unterbreizbach dagegen liefen Tag und Nacht.

Der letzte Zeuge, Dr. Ulrich Steger, war Aufsichtsratsvorsitzender der Mitteldeutschen Kali-AG (MdK) von 1990 bis zur Fusion mit Kali&Salz. Er teile die Einschätzung Vogels zur Treuhand: Hier seien unter hohem Zeitdruck mit wenigen Informationen weitreichende Entscheidungen zu treffen gewesen. Er selber wurde am 14. Dezember 1990 zum AR-Vorsitzenden bestellt. Das ehemalige Kalikombinat, so Dr. Steger, hätte bereits 1989 anerkannt, dass die Kaliindustrie in der Krise stecke und sechs Werke zur Schließung vorgeschlagen. Die MdK machte 850 Mio. DM Verluste im Jahr, die Erlöse deckten 50 % der Kosten. Die Betriebe waren ausgeblutet, Investitionen fanden kaum statt. Die Lagerstätten waren zum Teil erschöpft. Der Abbau war deswegen teuer, weil unproduktive Randlagen abgebaut wurden. Gleichzeitig war der Weltmarkt für Kali in einer Krise. Er wunderte sich über die schlechte Wertung: Es handele sich hier um das einzige Beispiel einer deutsch-deutschen Fusion. Die Schließungen im Westen sicherten auch Arbeitsplätze im Osten, in Zielitz und Unterbreizbach. Zusammen mit der Landesregierung sei es gelungen, Sozialbetriebe und das Erlebnisbergwerk zu erhalten. Einzige Alternative wäre die Fortführung der MdK gewesen - mit Milliarden Subventionen. Die Anlage in Bischofferode, betonte Dr. Steger, hatte seit den 70er Jahren Probleme. Entgegen den Behauptungen gab es keine besonderen Produkte. Bischofferode hatte 1993 einen Verlust von 20 Mio. DM pro t Salz. Peine hatte keine ausreichenden Finanzmittel und forderte stattdessen Subventionen von der Treuhand und der Landesregierung. Es gab drei Gutachten zur Weiterführung von Bischofferode, auch eins von der MdK - alle kamen zu negativen Ergebnissen. Angesichts des Weltmarktes war die Schließung der Grube in Bischofferode richtig, erklärte Dr. Steger. Die Entscheidung traf aber nicht die MdK, sondern die Treuhand. Auf Nachfrage erklärte er, dass er nicht in die Verhandlungen des Fusionsvertrages involviert war, er hätte den Vertrag in vollem Umfang nie gesehen. Dass die Landesregierung nicht beteiligt war, sei aber durchaus ein Problem hinsichtlich der Altlasten. Der Fusionsvertrag war allein Sache der Eigentümer und der von denen gewählten Berater. In der gegebenen Situation hätte jede Landesregierung so reagiert. MP Vogel musste am Ende kapitulieren. Ihm sei nur ein Fall bekannt, bei dem im Verwaltungsrat der Treuhand ein MP von allen anderen überstimmt wurde. Wenn der gut vernetzte MP Vogel nichts erreichen konnte, waren die Sachargumente für die Fusion zwingend und überzeugend, so Dr. Steger. Die Fusion war eine bewusste Abweichung vom Konzept der Treuhand, um Strukturpolitik zu betreiben und sehr stark politisch geprägt. BASF als Hauptaktionär war nicht begeistert, wollte K+S loswerden und keine Verantwortung für die ostdeutsche Kaliindustrie übernehmen. Erst 1997 kam K+S in die Gewinnzone.

Themen