Erforschung von Long-COVID priorisieren: Klinische Daten erheben, Langzeitfolgen analysieren, wirksame Therapien entwickeln und in Regelversorgung implementieren

coronavirus virus maske corona pandemie

In der 49. Plenarsitzung am 4. Juni 2021 beschloss der Thüringer Landtag einen Antrag der Regierungsfraktionen, FDP und CDU, wodurch Maßnahmen zur Erforschung von Long-COVID auf den Weg gebracht werden.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) verläuft eine Infektion mit SARS-CoV-2 in milden Fällen durchschnittlich innerhalb von zwei bis drei Wochen, in schweren Fällen drei bis sechs Wochen. Dann sollte die Infektion ausgeheilt sein. Am 25. Mai 2021 vermeldet das RKI in seinem Lagebericht circa 3,42 Millionen Genesene von knapp 3,65 Millionen bestätigten Fällen in Deutschland. Wie viele Patienten jedoch tatsächlich "genesen", also frei von weiteren Symptomen sind, ist unklar.

Immer mehr Menschen berichten über anhaltende oder wiederkehrende Beschwerden nach COVID-19. Es sind aber längst nicht nur diejenigen Patienten betroffen, die einen schweren Verlauf erlitten haben und stationär behandelt werden mussten, sondern immer häufiger auch leichtere Fälle. Dabei treten über drei Monate nach milden und moderaten Verläufen noch Müdigkeitserscheinungen (Fatigue), Muskel- und Gelenkschmerzen (Myalgie), Husten, Kopfschmerzen, Geschmacks- und/oder Geruchsverlust sowie kognitive Einschränkungen und Belastungsintoleranz auf. Aufgrund der Neuartigkeit des Krankheitsbildes und den sehr unterschiedlichen klinischen Präsentationen existiert bislang keine einheitliche Definition für Langzeitfolgen von COVID-19. In der öffentlichen Debatte werden die Langzeitfolgen unter dem Begriff "Long-COVID" subsumiert. Im internationalen wissenschaftlichen Schrifttum und Studien finden sich die Bezeichnungen "post-acute sequelae of sars-cov-2 infection" (pasc) oder "Post-COVID-Syndrom". Diese Bezeichnung umfasst alle Beschwerden, die sich während oder nach einer COVID-19-Infektion entwickelt haben, und länger als zwölf Wochen anhalten und nicht durch eine alternative Diagnose erklärbar sind.

In Deutschland ist über den klinischen Verlauf von Long-COVID nach sehr milden Krankheitsverläufen oder asymptomatischen Infektionen bislang nur wenig bekannt. Verlässliche, repräsentative Daten zu dem Anteil der Erkrankten mit Langzeitfolgen, die über drei Monate hinaus auftreten, liegen derzeitig nur begrenzt vor. Internationale Studien aus den USA (vergleiche Logue, J.K. et al., doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.0830), dem Vereinigten Königreich (vergleiche Office for National Statistics (ONS), Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) 79, 4 February 2021) sowie eine an der Berliner Charité durchgeführte Studie weisen allerdings eine zunehmende Zahl an Patienten aus, die einen asymptomatischen oder milden COVID-19-Verlauf hatten, aber dennoch Langzeitsymptome entwickelt haben. Zu den häufigsten Symptomen gehören demnach Fatigue, Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns, Myalgie, Kopfschmerzen sowie Konzentrations-, Merk- und Wortfindungsstörungen (sogenannter Brain Fog), die bis zu sechs Monate nach der Infektion diagnostiziert wurden. In einigen Fällen treten neue Symptome erst lange nach dem Zeitpunkt der Infektion auf oder entwickeln sich im Laufe der Zeit weiter (vergleiche Logue, J.K. et al., doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.0830). Zusätzlich zeigen die Ergebnisse, dass nicht nur Hochbetagte, sondern auch Kinder und Erwachsene (Durchschnittsalter: 48 respektive 41 Jahre) von Long-COVID betroffen sein können. So traten die Symptome am häufigsten in der Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen (26,8 Prozent) auf (vergleiche Office for National Statistics (ONS), Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) 79, 4 February 2021). Dieser Befund aus dem Vereinigten Königreich deckt sich mit den in den USA gewonnenen Erkenntnissen, wonach 26,6 Prozent der Teilnehmer in der Altersgruppe 18 bis 39 Jahre sowie 30,1 Prozent in der Altersgruppe 40 bis 64 Jahre persistierende Symptome angegeben haben (vergleiche Logue, J.K. et al., doi: 10.1001/jamanetwork-open.2021.0830). Darüber hinaus belegt die vom britischen ONS vorgelegte Studie, dass Kinder ebenfalls von Long-COVID betroffen sein können. Danach wiesen 12,9 Prozent der unter 11-Jährigen und etwa 15 Prozent der 12- bis 16-Jährigen fünf Wochen nach einer bestätigten COVID-19-Infektion mindestens ein Long-COVID-Symptom auf (vergleiche Office for National Statistics (ONS), Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) 79, 4 February 2021).

Auffällig ist weiterhin, dass die Fatigue als häufigstes Symptom bei Patienten sowohl mit schweren als auch mit milden Infektionsverlauf festgestellt wurde. Eine im Februar 2021 veröffentlichte Studie der Berliner Charité weist bei 50 Prozent der Teilnehmer die diagnostischen Kriterien von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) nach (vergleiche Kedor, C. et al., doi: 10.1101/2021.02.06.21249256). Die häufigsten Symptome sind Fatigue, Atembeschwerden und Geruchs- und Geschmacksstörungen, aber nicht alle Patienten sind schwer krank; manche haben auch nur ein Symptom. Neben Fatigue litten die Patienten (Durchschnittsalter 36,5 Jahre) am häufigsten unter Post Exertional Malaise (PEM) sowie Kopf- und Muskelschmerzen. Dieses Ergebnis ist verheerend, da ME/CFS eine schwere neuroimmunologische Erkrankung ist, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Die meisten der weltweit 17 bis 24 Millionen ME/CFS-Patienten leiden dauerhaft unter ausgeprägten Schmerzen. Sie sind in ihrem Aktivitätsniveau stark eingeschränkt (Belastungsintoleranz) und in vielen Fällen arbeitsunfähig.