
Jedes Jahr landen in Deutschland rund 35 Kilogramm Werbepost in jedem Briefkasten. Für die Produktion dieser Werbung werden etwa 1400 Liter Wasser und 54 Kilogramm Holz benutzt. Alleine für Werbepost in Deutschland werden somit jährlich circa 1,8 Millionen Bäume benötigt, Milliarden Liter Wasser und Unmengen an Energie verbraucht. Und das, obwohl Umfragen zeigen, dass die meisten Bürger*innen gar keine Werbung erhalten möchten. Die nicht-adressierte Briefkastenwerbung macht rund 10 Prozent des privaten Papier- und Plastikmülls aus und landet zum Großteil sogar gänzlich ungelesen in der Tonne. Ein ökologischer Wahnsinn, der in Anbetracht des Klimawandels ohne Zweifel hinterfragt werden muss.
Die Initiative Letzte Werbung e.V. hat sich dieses Problems angenommen: Ihr Ziel ist es, aus Klima- und Umweltschutzgründen, aber auch aus Gründen des Verbraucher*innenschutzes, die Zulässigkeit von Briefkastenwerbung von der expliziten Zustimmung der Empfänger*innen abhängig zu machen (Opt-in Modell). Dadurch würde deutlich weniger Werbung verteilt und es könnten sehr viele Ressourcen eingespart werden.
Unsere Abgeordneten Astrid Rothe-Beinlich, Fraktionsvorsitzende und justizpolitische Sprecherin, und Laura Wahl, klima- und umweltpolitische Sprecherin, haben gemeinsam mit der Initiative Letzte Werbung e.V. am 15. April 2021 zur Online-Veranstaltung „Werbung – Nein Danke!? Ungewollte Werbepost und Ressourcenverschwendung stoppen“ eingeladen. Mit dabei waren Sebastian Sielmann (Vorstand Letzte Werbung e.V.), Riccardo Schmidt (Public Affairs Specialist bei Letzte Werbung e.V.), Dr. Lorenz Marx (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität München) und Dr. Maximilian Konrad (Rechtsanwalt in München). Gemeinsam mit vielen Interessierten aus unterschiedlichsten Bereichen diskutierten sie sowohl aus umweltpolitischer als auch aus juristischer Sicht über die Vor- und Nachteile sowie die Umsetzbarkeit eines solchen Modells in Deutschland.
„Aktuellen Studien zufolge wollen 76 Prozent der Deutschen gar keine Werbepost. Um diese nicht zu erhalten, gibt es für Verbraucher*innen bisher nur die Möglichkeit einen „Keine Werbung“-Aufkleber auf ihren Briefkasten zu platzieren. Was in der Theorie einfach klingt, bringt in der Praxis verschiedene Hürden mit sich. So ist das Aufbringen eines Aufklebers prinzipiell mit Aufwand und Kosten verbunden und wird von manchen Hausverwaltungen sogar gänzlich untersagt. Zudem wird die Werbung oft trotz eines angebrachten Aufklebers eingeworfen, oder gerade im Falle von Mehrfamilienhäusern einfach in den Hausflur abgelegt. Dies führt natürlich dazu, dass viele Menschen von vornherein annehmen, dass ein solcher Sticker keine Wirkung hat, was sich insbesondere darin widerspiegelt, dass nur 26,7 Prozent der Briefkästen in Deutschland einen „Keine Werbung“-Aufkleber tragen. Das zeigt für uns eindeutig: Dieses System ist keine (dauerhafte) Lösung. Daher fordern wir die Umkehr des bestehenden Systems in ein so genanntes Opt-in Modell. Dadurch müssten nur Verbraucher*innen, die Briefkastenwerbung erhalten möchten, einen entsprechenden Aufkleber auf ihren Briefkasten anbringen. Im Umkehrschluss hieße dies: Kein Aufkleber – keine Werbung. Tatsächlich wird ein solches Modell bereits seit 2018 in Amsterdam und anderen niederländischen Städten genutzt. Da man dort Werbung nur noch auf ausdrücklichen Wunsch erhält, werden jährlich bereits große Mengen Papier- und Plastikmüll gespart“, erklärt Sebastian vom Letzte Werbung e.V..
„Um ein Opt-in Modell in Deutschland umsetzen zu können, bedarf es prinzipiell einer rechtlichen Änderung. Wir haben intensiv die juristische Umsetzbarkeit eines solchen Modells in Deutschland geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich dieses am besten über das Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb realisieren ließe. Auf Basis dessen wurde bereits ein Opt-in Modell für den Versand von Werbemails erwirkt. Anwenden ließe sich dieses Gesetz allerdings vorerst nur auf nicht adressiertes Werbematerial, da sich die Umsetzung bei kostenlosen Zeitungen und Einlagen presserechtlich deutlich schwieriger gestaltet. Nichtsdestotrotz würde die Einführung des Modells für nicht adressiertes Werbematerial einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten, sowie zum Schutz der Persönlichkeitsrechte beitragen“, erläutert Dr. Maximilian Konrad.
„Wir möchten nicht den Eindruck entstehen lassen, dass wir grundsätzlich gegen Werbung sind. So sind wir beispielsweise der Meinung, dass nicht-kommerzielle und politische Werbung weiterhin zugelassen werden sollten, da sie nur einen Bruchteil der Masse, die kommerzielle Werbung darstellt, ausmachen. Insgesamt geht es uns auch vielmehr um die Frage, wie man sich vor der Flut an nicht adressierter Werbung schützen kann, die hauptsächlich von den großen Handelskonzernen ausgeht.
Weiterhin ist uns bewusst, dass Werbung nicht gleich Werbung ist und Verbraucher*innen einzelne Zusendungen durchaus erhalten möchten. Daher schlagen wir vorerst eine Unterteilung in kommerzielle Werbung und kostenlose Zeitungen vor. Dies würde Verbraucher*innen die Auswahlmöglichkeit bieten, beides, nur eins der beiden oder gar nichts zu erhalten“, erklärt Riccardo Schmidt vom Letzte Werbung e.V..
„Die genaue juristische Trennung zwischen verschiedenen Arten von Werbung stellt dabei jedoch noch ein wesentliches Problem dar. Dies ist eine rechtliche Frage, in deren Beantwortung eine Behörde eingebunden werden müsste – eine solche existiert bisher jedoch nicht. Dies stellt ohne Frage noch eine wesentliche Herausforderung dar“, ergänzt Dr. Maximilian Lorenz.
In der Debatte zur juristischen Umsetzbarkeit des Opt-in Modells verwies die Deutsche Umwelthilfe, die seit vergangenem Jahr intensiv mit der Initiative zusammenarbeitet, darauf, dass auch die Einführung einer Umweltabgabe von mindestens 20 Cent pro gedruckter Werbebroschüre eine alternative Möglichkeit zur Regulierung der Werbeflut darstellen könne.
In diesem Zusammenhang stellte Laura Wahl heraus, dass ein Modellwechsel auch den Vorteil hat, dass Werbung qualitativ hochwertiger werden kann, weil sie nicht mehr massenhaft an alle ausgetragen wird, sondern gezielter Menschen ansprechen muss.
„Wir haben die Veranstaltung heute als Auftakt gesehen, um in die Debatte rund um ungewollte Werbeflut einzusteigen. Fakt ist, dass wir viel zu viel Papier wegschmeißen und unnötig Ressourcen verschwenden. Wir jedenfalls wünschen uns eine Fortsetzung der Debatte, da ungewollte Werbung für viele ein Ärgernis darstellt. Ermöglichen wollen wir aber auch, dass klar unterschieden wird zwischen kostenlosen Zeitungen inkl. politischer Information und rein kommerzieller Werbung“, schloss Astrid Rothe-Beinlich die Veranstaltung. Eines wurde durch den durchaus kontroversen Abend klar: Werbung geht uns alle an.
Wir bedanken uns herzlich bei Letzte Werbung e.V. für die ausführliche Vorstellung ihrer Initiative, bei Laura Wahl und Astrid Rothe-Beinlich für die Moderation und natürlich bei allen Teilnehmer*innen für die anregende, konstruktive und spannende Debatte.