Aktuelles aus dem Untersuchungsausschuss zur Treuhand in Thüringen

NSU - Untersuchungsausschuss

Zeug*innenanhörung zum Forschungsstand im UA Treuhand beendet und Kriminalfälle im Rahmen der Treuhand-Privatisierung behandelt.

Für die nunmehr 9. Sitzung des Untersuchungsausschuss zur Treuhand in Thüringen waren sechs Zeug*innen geladen. Unser Abgeordneter Olaf Müller leitete den Ausschuss als Vorsitzender.

Mit der nachgeholten Befragung von Dr. Andreas Malycha, Verfasser einer umfangreichen Monographie im Rahmen des Forschungsprojektes des IfZ „Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben“ wurde der Überblick zum aktuellen Forschungsstand abgeschlossen. Er wies darauf hin, dass die Treuhandanstalt weitere Aufgaben zu übernehmen hatte, die nicht ihrem eigentlichen Auftrag entsprachen, bspw. Grundstücksangelegenheiten. Die Privatisierung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen mit vorheriger Prüfung von Rückgabe- oder Kommunalisierungsansprüchen band viel Personal, hätte aber ebenfalls von anderen Bereichen der Bundespolitik gelöst werden können. Natürlich hatte die Bundespolitik großen Einfluss auf die Treuhandanstalt: Bei großen Firmen der Chemieindustrie oder den Werften hat allein die Bundesregierung entschieden, die Treuhand wurde dann nur vorgeschoben. Das war womöglich nicht beabsichtigt, aber doch sehr bequem, um unpopuläre Entscheidungen nicht vortragen zu müssen.

Ob die Treuhand Strukturpolitik in den Ländern machen solle oder nicht, war ein Grundkonflikt zwischen Ländern und der Treuhand, den auch Dr. Günter Link, ehemals Leiter der Abteilung Thüringen im Direktorat Länderfragen in der Treuhandzentrale ansprach. Er musste dazu vermitteln. Konkrete Fälle, in denen sich die Treuhand oder das Land durchsetzten, seien ihm nicht bekannt. Die Treuhand vertrat ihre Position meist sehr vehement. Die ostdeutschen Länder bekamen erst nachträglich eine Mitwirkungsmöglichkeit durch je einen Sitz im Verwaltungsrat.

Dr. Hans-Jürgen Schultz, 1990-1991 Wirtschaftsminister in Thüringen führte aus, dass besonders der Erhalt von Zeiss Jena für das Land wichtig war. Er sah eine Beteiligung der Belegschaft dabei als notwendig an. Mit etwas mehr Konsequenz hätte man Kali-Südharz und Kali-Werra vor der Abwicklung bewahren können, die Qualität der Produkte war gut, führte er aus. Hier hätte sich letztlich Bonn durchgesetzt.

Für Volker Grossmann, ehemals Leiter der Treuhand-Niederlassung Erfurt und damit verantwortlich für alle Betriebe in diesem Teil des heutigen Thüringens, die bis zu 1500 Mitarbeitende hatten, war die Arbeit der Treuhand alternativlos. Er wies darauf hin, dass nach Abschluss der Transformation die Arbeitslosigkeitsquote aktuell geringer sei als in Nordrhein-Westfalen, vor allem dem Ruhrgebiet. Zwar seien die Löhne immer noch niedriger, die Renten aber seien höher, insbesondere bei Frauen wegen deren Erwerbsbiografie im Osten.

Die Eile bei den Privatisierungen sei notwendig und richtig gewesen, weil sonst die Wirtschaft selber gehandelt hätte. Verlängerte Werkbänke waren aber nicht die Politik der Treuhand, begründete dies der spätere aufgerufene Zeuge Detlef Scheunert. Wenn politischer Druck da war, und das war bei Zeiss Jena durch die Demonstrationen sicher so, dann war auch Geld für Strukturen da. Die Regierung Kohl war bestrebt, den Druck mit Geld rauszunehmen, jedoch immer nur als Reaktion. In der Regel aber war der Finanzminister bestimmend, mit betriebswirtschaftlicher Rechnung für jeden einzelnen Betrieb. Man hätte sich mehr Zeit nehmen können für Sanierungen - Möglichkeiten hätte es gegeben. Dafür gab allerdings das Bundesfinanzministerium kein Geld. Der Zeitdruck, unter dem die Treuhand stand, war von der Bundesregierung politisch gewollt. Es sollte in der Wahlperiode bis 1994 alles erledigt werden.

Scheunert war als Branchendirektor u.a. für die Glasindustrie verantwortlich. Warum überlebte Zeiss Jena, aber nicht Glasring Ilmenau, wollte Olaf Müller wissen. Im Gegensatz zu Jena (dort übernahm das Land 49% der Anteile), wollte sich das Land nicht für Glasring engagieren, erläuterte Scheunert. Für Ilmenau hätte bei ihm – im Gegensatz zu Zeiss - auch nicht das Bundeskanzleramt angerufen und letztlich die Schatulle geöffnet. Ca. 1,1 Mrd. DM flossen zur Glasindustrie nach Jena - eine Summe, die sogar von Brüssel bewilligt werden musste. Ilmenau hatte zudem den Nachteil, dass sie erst später kamen. So war keine Paketlösung mehr möglich. Glasring hatte zunächst einen eigenen Weg gesucht und ihr Personal bereits von 8000 auf 2000 reduziert. Jedoch sei die Einzelprivatisierung der Töchter von Glasring erfolgreich gewesen. Natürlich, so Detlef Scheunert, gab es viele Netzwerke in und um die Treuhand. So wurden u.a. Mitarbeiter*innen rekrutiert oder Investor*innen gefunden. Diese Netzwerke waren kaum zu durchschauen.

1991 wurde eine Stabsstelle Recht eingerichtet. Sie wurde bei Verdachtsfällen tätig und arbeitete eng mit Polizei und Staatsanwaltschaften zusammen. In ihrer Selbstsicht, so erklärte die Kriminologin und Soziologin Dr. Kari-Maria Karliczek sei die Stabsstelle eher präventiv als kontrollierend tätig gewesen. Ebenso gab es eine Abteilung Revision und Controlling (ebenfalls 1991 eingerichtet). Von zunächst drei wurde diese auf 35 Mitarbeiter*innen bis Ende 1992 aufgestockt. Bei der Masse an Vorgängen sei damit aber nur eine punktuelle Kontrolle möglich, wenn überhaupt, so Frau Karliczek. Häufig gab es erst dann Kontrollen, wenn etwas auffällig war, ein systematisches Controlling war nicht möglich.

Diese fehlenden Kontrollstrukturen, verbunden mit einer generellen Haftungsfreistellung, zunächst auch bei grober Fahrlässigkeit, für alle Mitarbeitenden der Treuhand begünstigten sicher manche Entscheidungen. Mit der Etablierung demokratischer Kontrolle im Bundestag, zunächst mit einem Unterausschuss des Finanzausschusses, später mit eigenem Ausschuss und ab 1993 mit einem Untersuchungsausschuss, wurden die Spielräume der Treuhand geringer und die Kontrolle etwas größer. Zudem waren Gerichte und Staatsanwaltschaften unzureichend besetzt. Dies wurde zwar formal ausgeglichen durch einen „Jurist*innenimport“ aus den westdeutschen Ländern. Allerdings sei Wirtschaftsstrafrecht sehr kompliziert, insbesondere für Berufsanfänger*innen. Dr. Kari-Maria Karliczek geht daher davon aus, dass Ermittlung und Verfolgung von evt. Straftaten kaum möglich war. Besserung kam erst als 1994 die Staatsanwaltschaft II in Berlin mit erfahrenen Staatsanwält*innen eingerichtet wurde.

In der nächsten Sitzung des Untersuchungsausschusses werden erneut sechs Zeug*innen u.a. zu den Themen Wirtschaftskriminalität um die Treuhand und den Einfluss der Landesregierung angehört, darunter ein langjähriger Landesminister.

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