Aktuelles aus dem Untersuchungsausschuss „7/2 Treuhand“

NSU - Untersuchungsausschuss

Abschließend zur Situation der DDR-Wirtschaft mit Christa Luft und Vertiefung zum Einfluss der Landesregierung mit Bernhard Vogel.

In die 11. Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Treuhand in Thüringen am 09. Mai waren erneut Zeug*innen zur Anhörung eingeladen. Unser Abgeordneter Olaf Müller leitete den Ausschuss als Vorsitzender.

Mit der nachgeholten Befragung von Prof. Dr. Christa Luft schloss der UA den Komplex zum Zustand der DDR-Wirtschaft ab. Als Wirtschaftsministerin bestand ihre Aufgabe darin, ein Wirtschaftsreformkonzept zu entwickeln - u.a. mit dem Ziel, die DDR-Mark konvertierbar zu machen. Das Angebot einer Währungsunion von Bundeskanzler Kohl verstärkte den Druck enorm: Die Treuhand wurde eine „Sturzgeburt“, so Luft. Man wollte keine radikale Privatisierung, jedoch brauchte die Wirtschaft der DDR eine Investitionsspritze. Die Regierung unter Lothar de Maizière setzte eine neue Treuhand ein. So begannen ab dem 1. Juli 1990 die Privatisierungen: Betriebe wurden geschlossen, viele Bürger*innen wurden arbeitslos. Es entstand eine kleinteilige Wirtschaft ohne Großunternehmen. Der Währungskurs von 1:1 sei das Todesurteil für alle DDR-Betriebe gewesen. Für Luft war die Haftungsfreistellung der Treuhand-Mitarbeitenden ein grober Fehler, zusammen mit dem Bonussystem für schnelle Privatisierungen ein Freifahrtschein für Fehlentscheidungen. Es hätte andere Wege geben können. Ein gelungenes Beispiel sei das Unternehmen Jenoptik, das bis 1998 Landeseigentum war. Hier konnte sich die Landesregierung selbst um den Markterhalt kümmern. Der Schürer-Bericht sei der Modrow-Regierung nicht bekannt gewesen, so Luft. Nach offiziellen Angaben der Bundesregierung aus 1998 hätte die Verschuldung der DDR am 30. Juni 1990 lediglich 19,9 Mrd. DM betragen. Nicht 49 Mrd., wie aus dem Schürer-Bericht hervorgeht. Die Antwort auf die Nachfrage von Olaf Müller, was passiert wäre ohne Währungsreform in der DDR, fiel Luft schwer: Sie wäre für eine Einheit gewesen, aber nicht so, sondern mit Stärken beider Seiten.

Ministerpräsident a. D. Prof. Dr. Bernhard Vogel beschwor in seinem Eingangsvortrag die Gefahr der Deindustrialisierung der DDR. Die Treuhandanstalt und auch die Landesregierung hätten die Auszehrung des Landes verhindern müssen. Gemäß des Schürer-Berichtes war die Verschuldung der DDR hoch, die Produktivität zu niedrig, Industriepark und Infrastruktur verschlissen. Er führte aus, dass die Treuhand erfolgreich gearbeitet habe. Eine Deindustrialisierung sei zumindest im mittelständischen Bereich verhindert worden. Richtige Entscheidungen wurden z.B. in Eisenach mit Opel getroffen sowie mit der Erhaltung der Porzellanindustrie in Kahla. Auch Jenoptik beschrieb Vogel als erfolgreich. Andere Rettungsversuche wie z.B. Glas Ilmenau scheiterten. Es seien jedoch auch Fehler passiert. Bei Bischofferode gab es den Vorschlag durch die Treuhand, alle Kaligruben zu vereinigen. Sprich: Einige Gruben in Ost- und Westdeutschland schließen und der BASF-Tochter Wintershall zu übereignen. Dafür sollten Gelder der Treuhandanstalt genutzt werden. Dagegen habe Vogel sich gewehrt, weil die Gelder für Ostdeutschland so auch für westdeutsche Strukturen genutzt werden sollten. Er habe sich bei der Abstimmung zu Bischofferode im Verwaltungsrat der Treuhand enthalten. Der ehemalige Ministerpräsident betonte außerdem, dass Arbeitsplätze im Zuge der Transformation verloren gingen - nicht aber wegen der Treuhand, sondern wegen der desolaten Situation. Es fehlten wettbewerbsfähige Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen. Im Verwaltungsrat der Treuhand hätte man die Entscheidungen auch nicht einfach nur abgenickt. Nicht nachvollziehbare Beschlüsse wurden geprüft und Rücksprachen mit der Treuhandpräsidentin oder den Leitern der Bezirksniederlassungen gehalten. Alternativen zur Privatisierungen sah Vogel nicht.

Als letzter Zeuge berichtete Dr. Christian Rau von seinen Forschungsergebnissen zur gewerkschaftlichen Mitbestimmung in der Treuhand. Die Gewerkschaften hätten rasch vielfältige Alternativkonzepte entwickelt, auch zur Beteiligung der Belegschaften. Bereits im März 1990 wurde ein Sömmerdaer Modell der IG Metall vorgelegt, im Juni 1990 ein „Brückenkonzept zur Beschäftigungssicherung“. Um Mitbestimmung effektiv ausüben zu können, wollte man rasch in die Gremien der Treuhandanstalt kommen. Vier der 23 Sitze im Verwaltungsrat stellten letztlich die Gewerkschaften DGB, IG Chemie, IG Metall und die DAG. Zum Jahreswechsel 1990/1991 stiegen die Lebenshaltungskosten stark, viele Subventionen fielen weg. Gewerkschaften engagierten sich nun stark für Sozialpläne in Betrieben. Die Treuhandanstalt sei aber nicht bereit gewesen, die vereinbarten Summen zu zahlen. Es kam immer wieder zu Konfrontationen zwischen der Treuhand, den Gewerkschaften und Betriebsräten. Die Garantie von Abfindungszahlungen wurde mit einem ersten Abkommen zwischen Treuhand und Gewerkschaften im April 1991 geregelt, 60 weitere Abkommen folgten. Letztlich wurden ca. 11 Mrd. DM ausgezahlt. Auch für Beschäftigungsgesellschaften, die im Frühjahr 1991 u.a. bei Wartburg Eisenach entstanden, wurden Vereinbarungen zwischen Treuhand und Gewerkschaften geschlossen. So trugen die Gewerkschaften wesentlich dazu bei, den sozialen Frieden zu wahren, wobei sie stets zwischen Konfrontation und Kooperation schwenkten, so Rau. Es gab Alternativkonzepte, die aber wegen des Zeitdrucks nicht durchsetzungsfähig gewesen sind. Auch die westdeutschen Gewerkschaften seien nicht davon überzeugt gewesen, dass eine Mehrheit der ostdeutschen Betriebe nicht-sanierungsfähig wäre. Sie stellten sich so auf einen längeren Strukturprozess ein. Die Einbringung des Sanierungsgedankens, der Beschäftigungssicherung, der Aufdeckung zwielichtiger Maßnahmen oder der Einführung der Management-KGs seien Verdienste der Gewerkschaften.

Auf Nachfrage führte Rau zur Rolle der Gewerkschaften im Fall „Kali/Bischofferode“ aus: Einerseits waren die Gewerkschaften an dem langen Prozess der Sozialpläne intensiv beteiligt, vor allem die ostdeutsche Gewerkschaft IG BCW. Die westdeutsche IG BCE war für eine Fusion der Kali-Industrien aufgrund der Marktkrise und somit auch Befürworter von Schließungen. Vertreter*innen anderer Gewerkschaften unterstützten den Hungerstreik in Bischofferode.

Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses am 30. Mai wird das Thema Kaligrube Bischofferode behandeln. Erneut sind 4 Zeug*innen geladen, darunter der ehemalige Betriebsrat Gerhard Jüttemann, der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrates Dr. Ulrich Steger und Johannes Peine, ein nicht berücksichtigter Investor.

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