Zeug*innenanhörung zu Kriminalfällen im Rahmen der Treuhand-Privatisierung abgeschlossen, Einfluss der Landesregierung vertieft.
In die 10. Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Treuhand in Thüringen am 25. April waren erneut sechs Zeug*innen eingeladen. Unser Abgeordneter Olaf Müller leitete den Ausschuss als Vorsitzender.
Mit Prof. Dr. Klaus Boers, Kriminologe der Universität Münster und dessen ehemalige Mitarbeiterin Dr. Barbara Bischoff wurde das Augenmerk auf Kriminalfälle um die Treuhand gelegt. Beide waren in einem Forschungsprojekt zu Wirtschaftskriminalität in den 2000er Jahren tätig, welches basierend auf den Akten der Stabsstelle (gegründet 1991) „Besondere Aufgaben“ der Treuhandanstalt Kriminalfälle untersuchte und welche Strukturen und Rahmenbedingungen fördernd oder ggf. bremsend wirkten. Über 3000 Fälle waren in den Akten verfügbar. Daraus wurden sechs Fallkomplexe ausgewählt - kein Fall aus Thüringen. Es gab zwar bereits seit November 1991 interne Richtlinien für die Privatisierung. Diese wurden aber seitens der Mitarbeiter*innen der Treuhand nur als Orientierung wahrgenommen. Auch das seit Ende 1992 gültige Handbuch änderte an der Praxis wenig. Der immense Zeitdruck, unzureichende Kontrollen sowie wenig bis kein Entdeckungsrisiko wirkten generell begünstigend auf kriminelles Verhalten, gerade in der Wirtschaftskriminalität, erklärten die beiden Forscher*innen.
Die Stabsstelle war seit ihrer Gründung zwar mit einem ehemaligen Strafrichter für Wirtschaftskriminalität und drei Ermittlern besetzt, jedoch war dies für die Anzahl der Fälle völlig unzureichend. Die Fälle wurden daher nach „den größten Schweinereien“ priorisiert. 3621 Verdachtsfälle wurden in der Stabsstelle dokumentiert. In 1426 Fällen wurden Ermittlungen eingeleitet. Bei 295 Fällen kam es zu einem Verfahren. Zwei Drittel wurden eingestellt, ein Drittel kam zur Anklage. Insgesamt seien diese Zahlen aber im Durchschnitt aller Wirtschaftsstrafsachen.
Eingerichtet wurde die Stabstelle zur Bekämpfung von Kriminalität im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung bei der Treuhand. Mit der Vereinigung kamen ganz neue Formen von Wirtschaftskriminalität auf. Diese trafen auf unvorbereitete, so überhaupt vorhandene, Ermittlungsbehörden im Osten Deutschlands. Erst mit der Bildung der Staatsanwaltschaft II in Berlin 1992 wurde die Aufklärung und Verfolgung von vereinigungsbedingter Kriminalität forciert möglich. Die Stabstelle war demnach die erste Institution in Deutschland in der Wirtschaft, die informelle Ermittlungen zur Aufklärung von Straftaten durchgeführt hat und somit durchaus beispielgebend. Sicher hatte die Stabsstelle auch eine Verschleierungsfunktion zugunsten der Treuhand, sie war ein Feigenblatt, auch wenn beides nie offiziell zugegeben wurde. Nichtsdestotrotz habe die Stabstelle generalpräventiv gegenüber Manager*innen und Mitarbeiter*innen der Treuhand sowie auch gegenüber potentiellen Übernahme-Konkurrent*innen gewirkt.
Dr. Wolfgang Winzer, ehemaliger Firmenjurist von Siemens, gab Auskunft über die oftmals hemdsärmelige Art und Weise, mit der ostdeutsche Betriebe übernommen wurden. Er führte aus, wie er vorging, um auftragsgemäß zehn für Siemens lohnenswerte Betriebe von der Treuhand zu erwerben: Siemens hätte zunächst schriftlich Interesse erklärt, es sei aber keine Antwort gekommen. Also sei er direkt zum Verkäufer bei der Treuhand gegangen. Vorab hätte man sich die zehn Firmen angeschaut, deren Bilanzen jedoch alle unbrauchbar gewesen wären. Letztlich seien aber innerhalb eines halben Jahres alle Übernahmeverträge fertig gewesen, wobei 20.000 Mitarbeiter*innen übernommen wurden. Weitere Übernahmeangebote hätte es für diese Betriebe nicht gegeben und die gebotenen Summen seien eher gering gewesen. An eventuell gegebene Investitionszusagen oder Zusagen zum Erhalt von Arbeitsplätzen vermochte sich der Zeuge auch auf Nachfrage nicht zu erinnern.
Nach Winzers Ausführungen war es nicht die Absicht der Treuhand, Strukturpolitik, überhaupt Politik, zu betreiben. Man tat es faktisch, indem Standorte aufrechterhalten wurden. Der Treuhand hätten die Leute dafür gefehlt, sie sei „miserabel besetzt“ gewesen. Die westdeutsche Industrie hätte hier versagt. Sie wollten die Leute, auch nach einem Aufruf des Bundeskanzlers Kohl, nicht abstellen. Die Treuhand hätte auch nie die Voraussetzungen geschaffen, um gute Leute zu bekommen, so Winzer. Trotzdem sei der Schaden der Treuhand am Ende nicht allzu hoch gewesen, weil es sowieso nichts zu verkaufen gab.
Mit Andreas Trautvetter, seit 1992 Minister in der Thüringer Staatskanzlei und damit ständiger Vertreter des Ministerpräsidenten Vogel im Verwaltungsrat der Treuhandanstalt und dessen Referenten Werner Schuwirth wurde der Themenkomplex „Tätigkeit der Landesregierung“ diskutiert. Trautvetter lobte die erfolgreiche Industriepolitik der ersten zehn Jahre der Landesregierung, man sei zu 95% erfolgreich gewesen, 5% seien die Problemfelder. Erreichbar wäre manches gewesen, wenn sich die ostdeutschen Länder einig waren. Bei Bischofferode sei das nicht gelungen. Hier wurde letztlich der Schucht-Plan zugunsten der Weiterführung der Grube Zielitz in Sachsen-Anhalt verfolgt, auch unter wesentlicher Mitwirkung der Gewerkschaft Bergbau & Chemie, bei Schließung der Grube Bischofferode.
Die Landesregierung wirkte mit bei Nachverhandlungen von Vertragsabweichungen. Hier hätte die Treuhand meist die Wünsche der Unternehmen akzeptiert. Nach Trautvetters Einschätzung wurde oftmals der 5-jährige Zeitraum abgewartet, eine Zahlung von Vertragsstrafen sei ihm nicht bekannt. Für die Unternehmen galt es abzuwägen, was erfolgreicher wäre: Die weitere Finanzierung von verlustgeplagten Betrieben über längeren Zeitraum oder Investitionen. Ein Management-Buy-Out scheiterte oft an fehlendem Eigenkapital. Dem versuchte die Landesregierung mit der Gründung der Industrie-Beteiligungs-Gesellschaft zu begegnen, die teilweise bis zu 100% Anteil an Firmen übernahm, wie z.B. bei der Umformtechnik Erfurt oder der Faser AG Schwarza. Deren Zweitprivatisierung sei dann gelungen. Das Ziel der Landesregierung war auf den Erhalt industrieller Kerne gerichtet, entweder regional oder strukturell bestimmend. Die Industrie-Beteiligungs-Gesellschaft war eine gute Idee, der damalige Koalitionspartner FDP sei dagegen gewesen.
Auf Nachfrage führte Minister a.D. Trautvetter aus, dass die Landesregierung im Verwaltungsrat der Treuhand einer Vorlage zur Schließung der Grube Bischofferode zugestimmt hätte. Darin seien aber keine konkreten Auswirkungen enthalten gewesen. Das Bischofferode-Produkt war Konkurrenz zur Kali & Salz AG. Der andere Bewerber für die Grube Bischofferode, Herr Peine, sei Händler von Salz gewesen und hätte auch gut gepasst. Peine hätte auch alle Unterstützung von der Landesregierung zugesagt bekommen, die zu der Zeit möglich waren, auch Investitionszuschüsse. Das sei konkret aber erst nach Zuschlag möglich gewesen. Die Treuhand hätte „widerrechtlich“ bereits im Mai 1993 den Sanierungszuschuss an K&S ausgezahlt. Es hätte nämlich erst einen Sozialplan geben müssen. Der sei für Bischofferode aber erst im Dezember 1993 zwischen Trautvetter, Ramelow und dem damaligen Chef der BfA Nürnberg verhandelt worden. Der Betriebsrat hätte den aber abgelehnt, die Abwicklung durch die Treuhand war die unmittelbare Folge. Die Landesregierung, führte der Zeuge Werner Schuwirth aus, habe keinen Zugriff auf die eigentlichen Entscheidungen der Treuhandanstalt gehabt. Sie konnten nur verhandeln und Angebote an die (neuen) Firmen machen, u.a. mit EU-Regionalfonds-Mitteln.
In der nächsten Sitzung des Untersuchungsausschusses bereits am 9. Mai werden neben Prof. Dr. Christa Luft, Wirtschaftsministerin in der ehem. DDR von November 1989 bis März 1990 und Dr. Bernhard Vogel, Thüringer Ministerpräsident 1992-2003 weitere zwei Zeug*innen erwartet. Ob die ehemalige Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel ebenfalls vernommen werden kann, ist derzeit noch unklar.