Erfurt. Die Landesregierung will dem Neubau von Großställen den Geldhahn zudrehen und neue Kriterien für eine tiergerechte Landwirtschaft aufstellen. „Unser Ziel sind wissenschaftlich fundierte und keine emotionalen Festlegungen“, sagte Agrarministerin Birgit Keller (Linke) im Interview. Um zu verhindern, dass schwarze Schafe den ganzen Berufsstand in Misskredit bringen, spricht sie sich auch für mehr Kontrollen aus. Verstöße gegen das Tierwohl müssten klar sanktioniert werden.
Viele Bilder aus der Massentierhaltung können einem den Appetit verderben. Beißen Sie noch guten Gewissens in Ihr Schnitzel?
Ja, das mache ich. Beim Einkaufen schaue ich, wo das Fleisch herkommt. Ich denke, dass viele Bauern auf Tierwohl bedacht Fleisch produzieren. Sicher, es gibt immer schwarze Schafe, aber die sind ganz klar in der Minderheit. Leider bekommen die viel mehr Aufmerksamkeit als diejenigen, die gut und sauber arbeiten.
Rot-Rot-Grün will die Haltungsbedingungen für Tiere in der Landwirtschaft verbessern. Wo sehen Sie besonders Handlungsbedarf?
Es gibt ganz verschiedene Meinungen darüber, an welchen Kriterien man Tierwohl überhaupt festmachen kann. Wir haben dazu eine Arbeitsgruppe gebildet, die von Sozialministerin Heike Werner und mir geleitet wird. Damit wollen wir das Thema versachlichen und nachvollziehbare Kriterien aufstellen.
Und um welche Kriterien soll es da genau gehen?
Da wird es zum Beispiel um bestimmte Stallgrößen gehen – sprich: Wie viel Fläche einer bestimmten Zahl von Tieren zur Verfügung stehen muss. Wie das genau aussehen kann, will ich jetzt nicht sagen. Das machen wir gemeinsam mit der Bauernschaft, der Politik und der Wissenschaft. Unser Ziel sind wissenschaftlich fundierte und keine emotionalen Festlegungen. Und es muss auch generell um die Größe von Tierhaltungsanlagen gehen.
Vor allem der Neubau großer Massentierhaltungen sorgt immer wieder für Proteste von Tierschützern und betroffenen Anwohnern.
Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass der Zubau großer Intensivtierhaltungen nicht mehr unterstützt wird. Da ist in den vergangenen Jahren viel Geld geflossen. Die Investitionsförderung für Stallbauten wird ab diesem Jahr so ausgerichtet, dass die Einhaltung strenger Kriterien des Tierwohls sowie die Unterschreitung der Schwellenwerte nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz – also vergleichsweise kleinere Anlagen – besonders gefördert wird. Die Investitionsförderung ist für die Agrarunternehmen sehr wichtig, und ohne sie wird es keine neuen Mega-Ställe mehr geben. Außerdem haben wir auf der jüngsten Agrarministerkonferenz vorgeschlagen, bundesweit geltende Tierhöchstgrenzen für landwirtschaftliche Betriebe und Regionen zu entwickeln. Damit soll einerseits der Konzentration von Zucht- und Mastanlagen in manchen Regionen entgegengewirkt werden, als auch dass große Tierhaltungsbetriebe entstehen, die gar nicht über adäquate Fläche verfügen, um das Futter zu erzeugen oder die Gülle zu verwerten.
Was ist denn aus Ihrer Sicht schlimm an großen Ställen? Der Bauernverband betont stets, ob Tiere tiergerecht gehalten werden, entscheide sich nicht daran, ob fünf Kühe im Stall stehen oder 500.
Das sage ich auch. Es gibt hier in Thüringen gute Beispiele großer Anlagen, die sehr tiergerecht arbeiten. Andererseits ist nicht gesagt, dass es den Tieren bei einem Bauern mit fünf Kühen oder 20 Schweinen besser ergeht. Daran allein kann man es nicht festmachen.
Viele Menschen haben aber kein Verständnis dafür, dass etwa Schweine ohne Betäubung kastriert und millionenfach männliche Küken getötet werden.
Für mich steht außer Frage: Das muss aufhören. Die betäubungslose Kastration männlicher Ferkel in Deutschland ist ab 2018 verboten. Und der Bundeslandwirtschaftsminister will in spätestens zwei Jahren das Töten männlicher Küken überflüssig machen. Wir werden hierzu die Entwicklung genau verfolgen. Wofür ich sensibilisieren möchte ist, dass der Berufsstand selbst mehr für das eigene Image tut. Die Bauern müssen diese Debatte auch untereinander führen und dürfen nicht warten, bis Missstände durch heimliche Videoaufnahmen publik werden. Jedes schwarze Schaf ist eines zu viel.
Jüngst hatte „Gut Thiemendorf“ bei Jena mit Missständen in der Schweinehaltung Aufsehen erregt. Die Ermittlungen waren erst durch heimliche Videoaufnahmen von Tierschützern ins Rollen gekommen. Offensichtlich reicht das bisherige Kontrollsystem nicht aus.
Ja, da muss genauer hingeschaut werden. Wir brauchen mehr Kontrollen im Bereich Tierwohl, und die dafür verantwortlichen Behörden müssen personell besser ausgestattet werden. Wir müssen nicht unbedingt Vorschriften verschärfen, sondern sie konsequenter umsetzen. Das nützt letztlich auch den Bauern, denn solche Fälle bringen den ganzen Berufsstand in Misskredit. Ich gehe davon aus, dass jeder Landwirt ein Interesse daran hat, Eier, Milch und Fleisch in guter Qualität anzubieten. Verstöße müssen aber klar sanktioniert werden – im Extremfall bis hin zum Verbot der Tierhaltung.
Bis wann soll denn die Tierwohlstrategie vorliegen?
Ich denke da an die nächsten zwei Jahre. Es wird ein Vorschlag kommen und der wird diskutiert werden müssen. Es gibt übrigens auf Ebene der Agrarministerkonferenz eine ähnliche Arbeitsgruppe.
Doch dort mahlen die Mühlen oft langsam. Dass man nicht immer auf alle anderen Länder warten muss, hat Ihr nordrhein-westfälischer Amtskollege gezeigt, als er das Schreddern von Küken verboten hat. Inwieweit will Rot-Rot-Grün in Sachen Tierwohl Vorreiter werden?
Man kann so etwas versuchen, erleidet damit aber häufig Schiffbruch. Denn die Verordnung in Nordrhein-Westfalen wurde von einem Gericht wieder kassiert. Ich möchte keine Politik fürs Schaufenster machen, sondern diese Themen wirkungsvoll angehen. Obgleich ich es gut finde, dass der Vorstoß eine gewisse Sensibilität für das Thema geschaffen hat. Wo es Gesetzeswirkung bedarf, um die Tierwohlstrategie am Ende durchzusetzen, werden wir das machen.