Geschlechtervielfalt anerkennen und schützen - Erfordernis von Personenstandsangaben überprüfen, Transsexuellengesetz abschaffen

(c) Bündnis 90 / Die Grünen

Rot-Rot-Grün hat gemeinsam mit der Parlamentarischen Gruppe der FDP in der 83. Sitzung des Thüringer Landtags am 9. Juni 2022 einen Beschluss auf den Weg gebracht, der dazu beiträgt, Geschlechtervielfalt anzuerkennen und zu stärken. 

Das Recht auf geschlechtliche Identität wird im Grundgesetz durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt. Zu dieser gehört auch das Finden, Erkennen und Ausleben der eigenen geschlechtlichen Identität. Dennoch erleben Personen, deren bei der Geburt festgelegtes Geschlecht nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt (in diesem Antrag als trans* Personen bezeichnet) regelmäßig Einschränkungen dieses verfassungsmäßigen Rechts. Dies gilt insbesondere bei Verwaltungsverfahren. Zu staatlichen Pflichten gehört der Schutz vor Stigmatisierung und Diskriminierung sowie die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Geschlechtszuordnung. Diese gebieten es, die Wahrnehmung und Ausübung dieser Rechte ohne unverhältnismäßige Einschränkungen zu ermöglichen. In einer ohnehin schon schwierigen Lebenssituation sollte der Staat nicht gängeln, sondern Freiheitsrechte stärken.

Durch die Verpflichtung zur Angabe des Geschlechts in vielen Verwaltungsverfahren werden trans* Personen unnötig belastet. Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmen, haben in Deutschland die Möglichkeit, sich medizinisch und juristisch einer Transition zu unterziehen. Das juristische Änderungsverfahren wird in Deutschland durch das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) normiert. Dieses trat im Jahr 1981 in Kraft. Es sieht zwei Optionen für Menschen vor, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt: Die Änderung des Vornamens in einen Vornamen des anderen Geschlechts sowie die formelle Änderung der Geschlechtszugehörigkeit über den Personenstand. Voraussetzung für die Änderung des Vornamens sind nach derzeitiger Rechtslage zwei Gutachten von Sachverständigen, die mit diesem Gebiet ausreichend vertraut und voneinander unabhängig tätig sind. Diese müssen bestätigen, dass die antragstellende Person seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang leidet, entsprechend ihrer vom Personenstand abweichenden Geschlechtsidentität zu leben. Die Entscheidung, ob der Vorname geändert werden kann, trifft das dafür zuständige Amtsgericht auf Grundlage der Gutachten.

Die gleichen Voraussetzungen gelten für eine Änderung des Personenstands. Bis zum Jahr 2011 waren operative Maßnahmen zur Veränderung des Geschlechts sowie Fortpflanzungsunfähigkeit Voraussetzung für die Änderung des Personenstands. Obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzungen als verfassungswidrig und folglich unanwendbar erkannt hat (BvR 3295/07), sind sie aus dem Wortlaut des aktuellen Transsexuellengesetzes nicht gestrichen worden. Die Hürden für die Änderung des Geschlechtseintrags und die Änderungen des Vornamens sind weiterhin hoch. So wird die Begutachtung durch Sachverständige von den antragstellenden Personen häufig als entwürdigend empfunden.

Das Verfahren der Namensänderung und der formellen Geschlechtsanpassung kann mehrere Monate oder Jahre dauern und ist für die Antragsteller oft psychisch belastend. Die Verfahrenskosten von bis zu mehreren tausend Euro müssen die antragstellenden Personen häufig selbst tragen. Nicht nur hinsichtlich der Voraussetzungen für die Vornamens- und Personenstandsänderung ist das aktuelle Transsexuellengesetz dringend reformbedürftig. Der Regelungsbedarf im Zusammenhang mit Transgeschlechtlichkeit geht weit über die Änderung des Vornamens und des Personenstands hinaus. Unzureichend geregelt sind darüber hinaus die Elternschaft transgeschlechtlicher Personen, das Offenbarungsverbot des früheren Geschlechts und Vornamens, die Gesundheitsversorgung sowie ausreichende und flächendeckende Aufklärungs- und Beratungsangebote. Eine Reform des Transsexuellengesetzes wird in Deutschland seit langem sowohl von den Betroffenen, aber auch von Wissenschaft und Politik gefordert. Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist vereinbart eine Anpassung vorzunehmen. Das aktuelle Transsexuellengesetz basiert auf einer medizinisch-diagnostischen Vorstellung von "Transsexualität" als psychischer Erkrankung, die nach den aktuellen Erkenntnissen der Sexualforschung und der im Jahr 2019 veröffentlichten Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr zu vertreten ist.

Zahlreiche Staaten haben in jüngster Zeit die Vornamens- und Personenstandsänderung reformiert, indem sie die Begutachtungspflicht abgeschafft haben. Seit dem Jahr 2018 ist es Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung auch in Deutschland möglich, auf Grundlage von § 45b Personenstandsgesetz (PStG) Vornamen und Geschlechtseintrag der eigenen Geschlechtsidentität entsprechend anzupassen. Laut Bundesregierung und Urteil des Bundesgerichtshof (XII ZB 383/19) ist die Anwendung des § 45b PStG jedoch auf intergeschlechtliche Personen beschränkt. Transgeschlechtlichen Menschen ist die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität in Deutschland weiterhin nicht möglich. Nicht zuletzt ist durch das vereinfachte Verfahren mit einer deutlichen Verringerung des Aufwands für die Bearbeitung des einzelnen Antrags zu rechnen, so dass insgesamt mit einem Minderaufwand der Verwaltung zu rechnen ist. Idealerweise wird eine unkomplizierte Beantragung online ermöglicht.

Um Menschen Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität zu ermöglichen, brauchte es eine Abschaffung des Transsexuellengesetzes sowie des § 45b PStG. Die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität muss in Deutschland endlich ermöglicht werden.

Darüber hinaus ist notwendig, dass trans* Personen und inter* Personen durch landesrechtliche Regelungen nicht an einem selbstbestimmten Leben gehindert werden. Im Rahmen des Verwaltungshandelns ist das Geschlecht einer Person häufig für den Vorgang nicht relevant, wird aber dennoch abgefragt und genutzt (zum Beispiel für eine automatisch generierte Anrede). Dies kann für die Betroffenen zu unerwünschten Zwangsoutings führen. Daher sollte beim Verwaltungshandeln überall da, wo es möglich ist, auf die verpflichtende Abfrage des Geschlechts verzichtet werden. Für trans* und inter* Personen wiegt hier das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schwer und muss gewahrt bleiben. Eine freiwillige Angabe bspw. für statistische Zwecke soll weiter möglich bleiben.

Es ist weiterhin wichtig, dass medizinisches Personal Wissen über trans* und inter* Personen erwirbt. Bis zur Änderung der ICD-Einordnung im Jahr 2018 wurden trans* Personen jahrzehntelang pathologisiert; trans* Personen neigen eher zu einem riskanten Gesundheitsverhalten (bspw. Verheimlichen der geschlechtlichen Identität vor dem Hausarzt), weil sie Vorurteile des medizinischen Personals fürchten. Dies kann bspw. zum Verschleppen von Vorsorgeuntersuchungen führen.

Schlagworte