Bericht zum Fachgespräch „Aktuelle Situation in der Physiotherapie“ am 22. November 2022

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Bericht zum Fachgespräch „Aktuelle Situation in der Physiotherapie“ am 22. November 2022

Am 22. November fand unser Fachgespräch zum Thema „Aktuelle Situation der Physiotherapie“ im Thüringer Landtag statt.

Hintergrund dieses Fachgesprächs waren zum einen die Pläne, die grundständige Ausbildung in den Heilmittelberufen zu akademisieren. Zum anderen ging es um die derzeitige Situation der Physiotherapie in den Thüringer Ausbildungsstätten. Die Umgestaltung der grundständigen Ausbildung mit dem Ziel einer Akademisierung der Physiotherapie erfordert einen umfassenden und wohl eher mittelfristigen Transformationsprozess. Denn aktuell kämpft die Branche mit einem akuten Fachkräftemangel, der diesen Teil der Gesundheitswirtschaft wegen Renteneintritten, gestiegenen Bedarfen und geringen Absolvent*innenzahlen besonders hart trifft.

Auf Einladung unserer Abgeordneten und gesundheitspolitischen Sprecherin Babette Pfefferlein sind viele Physiotherapeut*innen, Professor*innen, Studierende und Vertreter*innen der Krankenkassen zum Fachgespräch gekommen. Babette begrüßte pünktlich um 14 Uhr die Teilnehmenden und benannte mit klaren Worten die Relevanz dieses Themas für unsere bündnisgrüne Landtagsfraktion.

Sehr schnell ging es in der Diskussion um bessere Rahmenbedingungen in der Ausbildung und Vergütung sowie um die Wertschätzung der Leistung im Berufszweig der Physiotherapie. Im Vordergrund stand die Frage, was genau passieren muss, um schnell und wirksam Verbesserungen in allen Bereichen auf den Weg zu bringen. Die Professor*innen und Studierenden erläuterten die prekäre Situation in Hochschulen sowie die starke zeitliche Belastung durch die Verteilung von Vorlesungs-, Prüfungs- und Praxiszeiten. Freie Wochen seien so kaum gegeben. Zudem existiere ebenfalls eine starke finanzielle Belastung, da die Berufspraktika in der Regel unbezahlt seien. Hinzu komme noch, dass die neue Regelung der Akademisierung nur auf dem Papier funktioniere. Aktuell haben Hochschulabsolvent*innen dieselben beruflichen und finanziellen Aussichten wie Auszubildende der Physiotherapie. Hier müsse eindeutig nachjustiert werden.

Die Berufsfachschulen bekräftigten diese Aussagen und betonten, dass die Physiotherapie Gewissheit brauche. Dies sei jedoch nur zu erreichen, wenn Therapeut*innen akademisiert werden, um so auch im europäischem Vergleich mithalten zu können. Ebenso thematisiert wurde die Gefahr, dass junge Menschen aus Deutschland in anderen Ländern die Möglichkeiten einer akademischen Ausbildung nutzen würden. Außerdem wurde der Mangel bei den zur Verfügung stehenden Lehrkräften kritisiert. Fehlende Fortbildungsvoraussetzungen wurden benannt und die Erhöhung der Attraktivität des Berufsfeldes angemahnt. Mit durchschnittlich 15 Absolvent*innen an Thüringer Hochschulen im Jahr 2022 können die Lücken der offenen Stellen im Freistaat definitiv nicht geschlossen werden.

Weiterhin stellten die Vertreter*innen der Praxen die Qualität der Praktikumsangebote für Studierende zur Debatte. Es wurde betont, dass es einheitliche Ausbildungs- und Qualitätsstandards geben müsse, damit die Praxen mit der Einarbeitungszeit entlastet werden würden. Hierfür müsse besser vermittelt und den Praxen mehr Gelder zur Verfügung gestellt werden. Außerdem gingen die Vertreter*innen der Praxen auf die Akademisierung im Allgemeinen ein. Eine Akademisierung bedeutet, dass neben einer praktischen auch eine wissenschaftliche Arbeit gefördert wird. Eine dementsprechende Vergütung müsse vorhanden sein. Eine wesentliche Forderung des Nachmittags war die Förderung der Bindung eines Ausbildungsvertrages an einen Arbeitsplatz in einer niedergelassenen Praxis, da dies für beide Seiten äußerst attraktiv ist. Selbst wenn das Schulgeld vom Land übernommen wird, so ist eine Ausbildungsvergütung noch in weiter Ferne.

Ein zweites wesentliches Diskussionsthema war die aktuelle Situation in den Praxen. Es bleibt, so die Teilnehmenden, generell zu wenig Zeit für eine effektive Behandlung der Patient*innen. Viele Therapeut*innen müssen täglich zwischen dem eigenen Anspruch zur Erfüllung des therapeutischen Standards und den tatsächlich bezahlten Behandlungszeiten entscheiden. Meist bleibt ein Teil der Arbeit an den Patient*innen dadurch unbezahlt. Die Wertschätzung für den Beruf muss sich, so die Forderung, dringend in deutlicher finanzieller Aufstockung zeigen.

Die Vertreter*innen der Krankenkassen meldeten sich ebenfalls zu Wort und erklärten, dass die Problemlagen durchaus nachvollziehbar seien und hier der Wille zur Nachbesserung bestünde. Das Grundproblem sei jedoch eine viel zu schwache Lobby der Physiotherapie. Auch die Diskrepanz hinsichtlich der Aufgaben, die Therapeut*innen im europäischen Ausland ausüben können, werde anerkannt. Betont wurde außerdem, dass eine „Akademisierung als Selbstzweck“ nichts bringe und hier ein funktionierendes System aufgebaut werden müsse.

Nach mehr als zwei Stunden angeregter Diskussion erklärte Babette abschließend: „Eine interprofessionelle Zusammenarbeit und das Fortschreiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen sind entscheidende Veränderungen, die in den nächsten Jahren auf das Aufgabenspektrum von Physiotherapeut*innen zukommen werden. Für mich als Abgeordnete wird das Thema in meiner politischen Arbeit definitiv einen höheren Stellenwert einnehmen.“

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmer*innen für den regen Ideenaustausch zu möglichen politischen Anpassungen in der Situation der Physiotherapie sowie die zahlreichen Gedankenanstöße, informativen Inputs und spannenden Fragen. Ein weiteres Fachgespräch zu diesem Thema steht bereits auf der Agenda von Babette. 

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