Interview mit Babette Pfefferlein zu psychischen Erkrankungen während der Pandemie

Interview Babette Depressionen

Laut dem Deutschland-Barometer Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe aus dem Jahr 2020 sind Menschen mit Depression deutlich stärker von den Folgen der Corona-Maßnahmen betroffen, als Personen ohne psychische Erkrankungen. Der Lockdown im Frühling 2020 wurde von ihnen als deutlich belastender empfunden (74 % versus 59 %). Jede*r zweite*r an Depression Erkrankte*r hat während des ersten Lockdowns 2020 massive Einschränkungen in der Behandlung seiner/ihrer Erkrankung erlebt: 48 % der Befragten berichten von ausgefallenen Behandlungsterminen bei Fachärzt*innen oder Psychotherapeut*innen. Oftmals mussten und müssen Patient*innen nach wie vor lange Wartezeiten überbrücken, bis sie einen Termin bei Fachärzt*innen oder Psychotherapeut*innen erhalten und eine adäquate Behandlung erfahren.

Anlässlich des heutigen Weltgesundheitstages möchten wir als grüne Landtagsfraktion auf psychische Erkrankungen aufmerksam machen und diese in den Fokus rücken. Dafür haben wir mit unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Babette Pfefferlein über die Situation von psychisch erkrankten Menschen in den vergangenen zwei Jahren während der Pandemie gesprochen.

 

Warum wurden Schwierigkeiten in Bezug auf psychische Erkrankungen bei den Corona-Maßnahmen nicht mitgedacht und was wird nun getan, um das Gesundheitssystem zu stärken?

Die Corona-Pandemie hat unser Land im März 2020 von jetzt auf gleich vor Herausforderungen gestellt, auf die unser Gesundheitssystem nicht vorbereitet war. Dieser Ausnahmezustand dauert nun zwei Jahre an und die teils extremen Zusatzbelastungen schlugen vielen Menschen auf die Psyche. Unser Gesundheitssystem konnte und kann das nicht auffangen – das wissen auch wir als Politiker*innen. Deshalb ist ganz klar, dass wir unser Gesundheitssystem in allen Bereichen stärken müssen - aber leider lassen sich ad hoc keine Therapieplätze zaubern. Schon vor Corona konnte die Nachfrage nicht gedeckt werden. Als einzelne Politikerin ist mein Einfluss darauf auch sehr beschränkt. Was ich aber tun kann, ist immer wieder auf die Schieflagen hinzuweisen - in Gesprächen mit den Krankenkassen, den Ärztlichen Vereinigungen sowie in der Öffentlichkeit. Damit kann ich zum einen für mehr Verständnis für psychische Erkrankungen werben und zum anderen dafür, dass die Unterversorgung alsbald behoben wird. Das beginnt bereits mit der Bereitstellung von genügend Studienplätzen und der Werbung für den Beruf. Ziel muss es sein, in einigen Jahren ein besseres Versorgungsnetz als heute haben.

 

Wer ist für die Festlegung des Bedarfs an Kassensitzen zuständig und warum werden nicht mehr Kassensitze für Therapeut*innen bereitgestellt, obwohl der Bedarf offensichtlich da ist?

Das System der zu vergebenden Kassensitze in Deutschland ist leider recht kompliziert. Die Anzahl der Kassensitze für Psychotherapeut*innen ist begrenzt und die Planung erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Zuerst einmal macht eine Bedarfsplanungs-Richtlinie bundesweite Vorgaben, die dann auf regionaler Ebene in den sogenannten Landesausschüssen umgesetzt wird. Auf der Ebene des jeweiligen Bundeslandes erstellen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen einen regionalen Bedarfsplan, der die aktuelle Versorgungssituation berücksichtigt. Relativ neu ist eine Regelung im Terminservice- und Versorgungsgesetz: Hiermit haben die zuständigen Landesbehörden unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, in ländlichen oder strukturschwachen Regionen für bestimmte Ärzt*innengruppen die Zulassungsbeschränkungen aufheben zu können. Eine Einflussnahme der Landespolitik auf dieses System ist also kaum möglich.

 

Die Mehrheit der Beschäftigten mit Depression spricht am Arbeitsplatz nicht über die Erkrankung. Wie kann es Betroffenen leichter gemacht werden, offener über das Thema zu sprechen und wie kann die Politik dabei helfen, in Unternehmen Strukturen dafür zu schaffen?
Außerdem bestehen nach wie vor bei vielen psychischen Erkrankungen, bspw. Depressionen, in der deutschen Bevölkerung immer noch große Wissenslücken. Wie kann wichtige Aufklärungsarbeit geleistet werden und wer steht hierfür in der Verantwortung?

Psychische Krankheiten können jede*n treffen. Dennoch ist der Umgang mit Menschen mit psychischen Problemen immer noch oft mit Ängsten behaftet. Ich glaube, dass dieses Thema zwei Facetten hat: Einerseits herrscht oft große Hilflosigkeit bei Familie, Freund*innen und Arbeitskolleg*innen. Die Menschen schauen weg, können mit dem Zustand nicht gut umgehen. Oder das Thema wird klein-geredet: „Alles nicht so schlimm“, „Schlaf Dich mal aus“, „Warte mal, wenn erst die Sonne wieder scheint“. Das alles hilft den Erkrankten in einer akuten psychischen Leidenssituation nicht. Wahrscheinlich sprechen die Betroffenen auch nur ungern über ihre psychischen Probleme. Groß ist die Angst vor dem Stigma und vor der Unwissenheit der anderen. Der Weg bis hin zur Akzeptanz in unserer Gesellschaft, dass psychische Krankheiten ebenso normale Krankheiten sind, ist noch sehr weit. Wir als Politiker*innen können jedoch diesen Weg begleiten, indem wir Kampagnen zur Aufklärung durchführen oder auch Selbsthilfegruppen unterstützen. Das Gespräch mit Gleichgesinnten oder Gleichbetroffenen kann den Umgang mit chronischen oder seltenen Krankheiten, mit Lebenskrisen oder belastenden sozialen Situationen erleichtern.

Ein Thema möchte ich in diesem Zusammenhang aber noch ansprechen. Leider auch eines, welches in der Pandemie Federn gelassen hat: Zu den Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zählt auch die sozialpsychiatrische Unterstützung in Form von sozialpsychiatrischen Diensten. Diese sind ebenfalls in den meisten Ämtern auf absoluter Sparflamme gehalten worden. Die Aufgaben, die die Gesundheitsämter im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu bewältigen hatten, haben das Thema psychische Gesundheit in den Hintergrund gerückt. Die Lehre aus der Corona-Pandemie ist also auch, dass ein funktionierendes System im Öffentlichen Gesundheitsdienst sehr wichtig ist. Ich erwarte kurzfristig, dass hier Strukturen geschaffen werden, um in diesem Bereich des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wieder arbeitsfähig zu machen.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Weiterführende Links und Quellen:

Übersicht Telefon-Hotlines und Beratungsangebote vom Gesundheitsministerium Thüringen

Deutschland Barometer Depression

Angst und Depressionen haben während Corona stark zugenommen

2021 drei Fehltage im Job durch psychische Erkrankungen

Psychische Belastung von Kindern in der Pandemie bleibt hoch

NAKO-Gesundheitsstudie: Stärkere psychische Belastung durch Corona-Pandemie

Psychische Gesundheit in Zeiten von Corona

Eine Depression reicht nicht mehr aus für einen Klinikplatz

Psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen bleibt hoch

Studien: Stress und psychische Probleme haben in der Pandemie zugenommen

 

 

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