„Brexit, EU-Haushalt, Rechtsstaatlichkeit: Was brachte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft? Wir ziehen Bilanz!“

Was brachte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft? Bericht vom 26.1.2021

Für ein halbes Jahr übernimmt einer der EU-Mitgliedstaaten die Rolle der EU-Ratspräsidentschaft, sodass jeder Staat alle 13 Jahre an der Reihe ist. Dabei übernimmt der jeweilige Mitgliedsstaat, der den Vorsitz innehat, drei Hauptaufgaben: die Leitung und Unterstützung der Arbeit des EU-Rates und der Europäischen Union, die Vertretung dieses Rates gegenüber der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament sowie die Vertretung der EU auf internationaler Ebene.

Von Juli bis Dezember 2020 hatte Deutschland den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft – inzwischen zum 13. Mal. In dieser Zeit war die Bundesrepublik mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: den Umgang mit der Corona-Pandemie und deren Folgen, die Klimakrise, der Brexit, die Haushaltsblockade von Ungarn und Polen, die Krise der Rechtstaatlichkeit.

Doch wurde das umgesetzt, was sich Deutschland vorgenommen hatte?

Gemeinsam mit den beiden bündnisgrünen Europaabgeordneten Terry Reintke und Daniel Freund zog unsere europapolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Madeleine Henfling in einer Onlineveranstaltung Bilanz.

Terry Reintke ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament und Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Daniel Freund ist Mitglied im Europäischen Parlament und Mitglied im Verfassungs- und Haushaltskontrollausschuss.

EU-Ratspräsidentschaft

Bereits zu Beginn deutete Terry an, dass die Annahme, dass große Länder wie eben bspw. Deutschland ihre Rolle in der EU-Ratspräsidentschaft ernst nehmen würden, falsch sei: „Nach meiner Erfahrung nehmen kleinere Mitgliedsstaaten diese Rolle sehr viel ernster, bereiten sich darauf vor und arbeiten in dieser Phase härter“, konstatierte sie. Als Beispiel nannte sie die Verhandlungen von Gesetzgebungen, die während der deutschen Ratspräsidentschaft im Vergleich zu anderen weniger präsent waren. „Natürlich“, sagte sie, „muss man auch berücksichtigen, dass diese Ratspräsidentschaft unter ganz anderen Umständen stattfand, insbesondere das Aufkommen der zweiten Welle der Corona-Pandemie.“ Dennoch stellte sie fest: „Die deutsche Ratspräsidentschaft hat nicht den Push gegeben, den man sich gewünscht hätte.“ Dies bezog sie auch auf den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU. „Der Haushalt war und ist nicht das, was wir uns als Grüne gewünscht haben, vor allem was Klimaschutz, Geschlechtergerechtigkeit, Digitalisierung angeht. Am Ende musste man zustimmen – damit wenigstens etwas erreicht wird.“

Das abschließende Statement von Terry zur EU-Ratspräsidentschaft: „Dass im Bereich der sozialen Gerechtigkeit nichts gelaufen ist, zeigt wieder, dass Deutschland keine Priorität auf das Thema setzt. Das Stereotyp, dass Deutschland soziale Gerechtigkeit egal ist, wurde hier wieder bestätigt.“

Brexit

Im zweiten Teil der Veranstaltung ging es um den Brexit, die vereinbarten Regelungen und Terrys Einschätzung zum Thema. Diese stellte zunächst klar, dass die Verhandlungen nicht unter der deutschen Ratspräsidentschaft liefen. Bereits Anfang 2020 wurden grundlegende Fragen zum Brexit geklärt. Was jetzt vor kurzem verhandelt wurde, war die Zukunft der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Terry bezeichnete die Verhandlungen als angespannt und hitzig. „Als Fraktion war uns wichtig, grundsätzlich einen geregelten Brexit zu schaffen. Das heißt jedoch nicht, dass wir dem Deal zustimmen“, sagte Terry. „Der Deal, den das Vereinigte Königreich vorher mit der EU hatte, war auf jeden Fall der bessere Deal. Man merkt es bspw. bei bürokratischen Hürden und am Lebensmittelmangel. Dieser Brexit hat eben doch weitreichendere Folgen, als geglaubt wurde“, so Terry. Zur Brexit-Thematik wurden zahlreiche Nachfragen gestellt: „Wie kann man die EU verbessern, damit sowas wie der Brexit in Zukunft verhindert werden kann?“, „Was hat man aus dem Brexit gelernt?“ Dazu resümierte Terry: „Das ist das einzig Positive an der ganzen Debatte: Wir befassen uns mit der Frage: Was müsste die EU verändern, damit Menschen nicht solchen Lügen auf den Leim gehen!“

Rechtsstaatlichkeit

Im Input von Daniel Freund ging es um die Rechtsstaatlichkeit. Daniel war Verhandlungsführer der Grünen zum Rechtsstaatsmechanismus und berichtete von den Verhandlungen, der Wichtigkeit der Rechtsstaatlichkeit und Problemen mit dem Thema in der EU. Einführend sprach er über die aktuellen Entwicklungen in Ungarn. Er beschrieb die Regierung von Viktor Orbán als eindeutig korrupt und nepotistisch. „Es wurde bereits erwiesen, dass Orbán öffentliches Geld von der EU geklaut hat. In der Regel wäre so ein Verstoß schnell erkennbar gewesen, da das EU-Geld aus den Mitgliedstaaten kommt. Im Fall von Ungarn funktioniert dies nicht, aufgrund ihrer antidemokratischen Regierungsform“, erzählte Daniel. „Um damit umgehen zu können, musste die EU ein besseres Werkzeug entwickeln. Darum haben wir den Rechtsstaatsmechanismus auf den Weg gebracht“, erklärte er. Wenn ein Mitgliedsstaat gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt, sollen EU-Gelder gekürzt werden.  Daniel hat die Rolle der Bundesregierung, bestehend aus der Koalition CDU und SPD, diesbezüglich kritisiert. Er argumentierte, dass diese zu oft auf Orbán zugegangen wären während des Verhandlungsprozesses. Für Daniel war es wichtig einen Rettungsschirm ohne Polen und Ungarn zu machen.

Die negativen Aspekte des Rechtstaatsmechanismus ist Daniel zufolge der relativ begrenzte Geltungsbereich: Ein Verstoß kann nur sanktioniert werden, wenn mit EU-Fördergeldern tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Zum anderem ist der Mechanismus sehr abhängig vom politischen Willen der Europäischen Kommission. Dennoch ist es positiv, dass erstmals eine Verknüpfung des EU-Haushalts mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in den Mitgliedsstaaten der EU vorgenommen wurde, so Daniel weiter.  

Daniel schloss seinen Input mit dem Hinweis, dass die Fortschritte in Richtung Rechtstaatlichkeit nicht aufgrund der deutschen Ratspräsidentschaft erreicht wurden, sondern der Arbeit im Europäischen Parlament zu verdanken sind. „Der gesamte Verhandlungsprozess zum Mehrjährigen Finanzrahmen und zur Rechtsstaatlichkeit wurde aus Sicht des Europäischen Parlaments entpolitisiert. Das ist wahnsinnig frustrierend! Wir brauchen für die Zukunft da einen Diskussionsprozess!", fordert er. Das Positivste, was wir erreicht haben, war die Debatte um das Thema Rechtsstaatlichkeit in die breite Öffentlichkeit zu bringen."

Im Anschluss an die interessanten Inputs von Terry und Daniel gab es noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen und in die Diskussion zu gehen. Wir denken, dass sowohl für uns, als auch für die Interessierten in der Veranstaltung sowie über den Live-Stream die Situation der EU bezüglich wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekten, als auch Deutschlands Rolle in diesem Kontext verständlich dargestellt wurde. Wir bedanken uns bei Terry und Daniel für ihren spannenden Einblick, Madeleine für die Moderation und Initiative der Veranstaltung sowie bei allen Teilnehmenden für die engagierte Debatte.

 

 

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