"Habt Mut und Vision für echten Wandel!"

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Tine Langkamp

Interview mit der Divestment-Aktivistin Tine Langkamp

Die in Münster lebende Aktivistin Tine Langkamp beschäftigt sich seit 2009 mit der Thematik des Klimawandels. 2013 konnte sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen; seither arbeitet sie als Koordinatorin für die Klimaorganisation 350.org, für die sie die Divestment-Kampagne Fossil Free Deutschland begleitet. Neben ihrer Presse- und Medientätigkeit, baut sie ein Netzwerk aus lokalen Gruppen auf und kümmert sich um Aktionen vor Ort in Münster.

 

Der Begriff „Divestment“ war in den letzten Jahren immer wieder in den Medien zu hören. Trotzdem wissen viele nicht, was sich dahinter verbirgt. Was sind denn die Ideen und Ziele von Divestment?

Divestment ist der Abzug von Geldern aus dem klimaschädlichen Kohle-, Erdöl- und Erdgassektor. Unter dem Motto Divestment können engagierte Menschen aktiv werden und ihre Städte, Universitäten, Kirchen oder Banken öffentlich dazu auffordern, nicht mehr in diese Industrie zu investieren. Städte wie Münster, Stuttgart und Berlin reagierten auf den Druck von den Lokalgruppen vor Ort und beschlossen ein Divestment. Das Ziel unserer Kampagne ist dabei nicht, der fossilen Industrie den Geldhahn abzudrehen. Dafür ist sie viel zu vermögend. Mit den weltweiten, öffentlichen und kreativen Divestment-Kampagnen entziehen wir der Kohle-, Öl- und Gasindustrie nach und nach die gesellschaftliche Akzeptanz. Unsere Bürgerbewegung stellt somit ein wichtiges Gegengewicht zur fossilen Lobby dar und kann Raum für echten politischen Wandel schaffen, indem sie mutige Gesetzgebung, wie zum Beispiel einen schnellen Kohleausstieg erst möglich macht.

 

Vor etwa einem Jahr hat Münster als erste deutsche Stadt beschlossen, öffentliches Kapital aus klimaschädlichen Industrien abzuziehen. Wie wurde das erreicht und wie erfolgreich ist die Divestment-Kampagne anderswo?

Wie bei fast allen Divestment-Erfolgen weltweit ist auch in Münster zunächst eine kleine Gruppe Menschen zusammengekommen, die sich für mehr Klimaschutz einsetzen wollte und dann einfach loslegte. Die Fossil Free Münster Gruppe begann ganz klein und hat innerhalb kürzester Zeit breite Unterstützung für das Thema aufgebaut und die Entscheidungsträger*innen im Stadtrat nach zweijähriger Kampagnenarbeit zum Divestment-Beschluss gebracht. Der Weg dorthin war nicht immer einfach. Besonders hilfreich war, dass Philipp Schulte als Mitglied der Fossil Free Gruppe und der Energie-AG der Grünen in Münster den politischen Weg bereiten konnte. So gelangte Divestment ins Wahlprogramm der Grünen und dann auch in den Koalitionsvertrag mit der SPD. Trotzdem hat es einige öffentlichkeitswirksame Aktionen und Lobbyarbeit gebraucht, bis es eine Mehrheit für das Thema im Rat gab.

 

Auf welche Hindernisse stoßen Sie bei Ihrer Kampagne in Deutschland? Wie gehen Sie damit um?

Ein großes Hindernis ist die mangelnde Transparenz über Investitionen und Anlagepraktiken bei Städten, Kirchen, Unis, Banken. Bei Versuchen, an die Informationen zu kommen, beißen sich Fossil Free Gruppen regelmäßig die Zähne aus. Wir versuchen alle Wege auszuschöpfen, um an die Informationen zu kommen: von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, parlamentarischen Anfragen bis hin zu Insider-Informationen. Im letzten Jahr sind finanzielle Gründe für ein Divestment immer mehr in den Vordergrund gerückt. Wir wollen den Abzug von Geldern aus dem fossilen Sektor allerdings nicht, um Profite zu schützen, sondern um unser Überleben auf diesem Planeten zu sichern. Es bleibt unsere Aufgabe, über den Klimawandel und Klimafolgen zu sprechen. Daher ist es besonders wichtig über Gas-Divestment zu sprechen. Mittlerweile ist Kohle-Divestment in aller Munde. Doch Kohle durch Gaskraft zu ersetzen, kann uns in ein gefährliches Gas-Lock-In bringen, bei dem unsere Emissionen nicht reduziert werden, sondern im besten Fall gleich bleiben. Das ist inakzeptabel und so müssen wir ein konsequentes Divestment von Gas, Kohle und Öl fordern und umsetzen. Unbedingt wichtig ist, dass Divestment-Kampagnen und Erfolge öffentlich gemacht werden. Denn nur eine öffentliche Debatte kann an der sozialen Akzeptanz der fossilen Industrie kratzen. 

 

Mit welchen Argumenten schaffen Sie es, Städte und Gemeinden davon zu überzeugen, aus klimaschädlichen Investitionen auszusteigen?

Nun, wer echten Klimaschutz will, muss dies auch auf der Investitionsebene tun. Beteiligungen an Kohlekraftwerken zu halten oder in Fonds mit RWE, Gazprom, Shell, Eni oder Total zu investieren, passt nicht zu Klimaschutz oder dem grünen Image einer Stadt. Wir haben alle Argumente auf unserer Seite, auch das finanzielle. Trotzdem werden Entscheidungsträger*innen im Stadt- oder Gemeinderat meistens nur mit Ausdauer, Aktionen und einer öffentlichen Debatte überzeugt. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändert und die Dekarbonisierung der Wirtschaft zum Selbstläufer wird.

 

Im Zusammenhang mit Divestment wird oft von der Kohlenstoffblase gesprochen. Was ist das?

Die Kohlenstoffblase bezeichnet die aufgeblähte Investitionsblase in fossile Brennstoffe. Sie ist das Ergebnis einer Überbewertung von Kohle-, Öl- und Gasreserven, die nicht berücksichtigt, dass der Großteil der fossilen Reserven einem hohen Risiko ausgesetzt ist, unverwertbar zu sein. Damit würden sie als sogenannte Stranded Assets stark oder gar ganz an Wert verlieren. Bei dieser Kohlenstoffblase spielen verschiedene umweltbedingte Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise schwieriger Zugang zu fossilen Rohstoffen, sinkende Kosten für Erneuerbare Energien, Veränderungen auf dem Energiemarkt, Wasserknappheit, Klimafolgen und Regulierungen zu Luftqualität und Klimaschutz. Wenn die Politik ihr erklärtes Ziel, die globale Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, hält, bedeutet dies, dass fast alle derzeit bekannten Erdöl-, Erdgas- und Kohlevorkommen nicht verbrannt werden können.

 

Wie stellen Sie sich persönlich die Zukunft der Energiewirtschaft vor?

Dekarbonisierung ist das Stichwort. Und das nicht nur in der Energiewirtschaft. Wir brauchen neue, innovative Modelle für Energie, Landwirtschaft, Mobilität und Ernährung. Ein umfassender Wandel ist notwendig. Für die Energiewirtschaft sehe ich die größte Chance in der Dezentralisierung der erneuerbaren Energieproduktion. Nicht riesige Offshore Windparks oder Solaranlagen in der Wüste, sondern Erneuerbare Energie in Bürgerhand und energieautarke Regionen sollten die Zukunft sein.

 

Welche Unterstützung erhoffen Sie sich aus der Politik? Und was können wir alle tun, um das Ziel „100% Erneuerbare“ möglichst schnell Wirklichkeit werden zu lassen?

Für die Politik: Habt Mut und Vision für echten Wandel. Fordert mit uns das scheinbar Unmögliche. Streicht alle Subventionen für die fossile und nukleare Energiewirtschaft. Verbietet den Bau neuer fossiler Infrastruktur. Setzt den Kohleausstieg so schnell wie möglich um (noch vor 2025). Baut die Förderung der Energiewende aus statt sie zu kürzen. Schafft Anreize für Kommunen und Bürger*innen, ihre Energie vor Ort und erneuerbar zu produzieren. Den Klimawandel auf unter 2°C zu begrenzen ist eine Kraftanstrengung, an der die gesamte Gesellschaft mitarbeiten muss. Die Politik sollte aufhören, Lösungen von großen, unbeweglichen Konzernen zu erwarten und auf ihre Bürger*innen setzen. Denn sie gehen bereits mutig voran.

Für alle: Schließt euch den Bürgerbewegungen für Klimaschutz und gegen die fossile Industrie an. Es gibt viele Möglichkeiten, aktiv zu werden.

 

Vielen Dank an Frau Langkamp für das Gespräch.