Weshalb wir ein zeitgemäßes Abgeordneten-Überprüfungsgesetz für Thüringen brauchen...

Bild zur News

Astrid Rothe-Beinlich

Interview mit Astrid Rothe-Beinlich, Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Aufarbeitung

 

Im Januar haben die Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in die Debatte um die Überarbeitung des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes einen gemeinsamen Änderungsantrag zum Gesetzesänderungsantrag der CDU in den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz eingebracht. Worum geht es dabei?

ARB: Mit dem Antrag geht es uns um ein zeit- und verfassungsgemäßes Gesetz zur Abgeordnetenüberprüfung. 25 Jahre nach der friedlichen Revolution wollen wir Aufarbeitung gemeinsam voranbringen. Dazu gehört es auch, das längst überholte Abgeordnetenüberprüfungsgesetz entsprechend zu überarbeiten. Im Kern geht es uns um drei Punkte: Erstens: Wir wollen endlich den ohnehin verfassungswidrigen Paragrafen 8, welcher den Mandatsverlust vorsieht, streichen. Zweitens: Die Paragrafen 1 und 6 wollen wir dahingehend ändern, dass die Erklärung der Parlamentsunwürdigkeit gestrichen wird. Diese hat sich ohnehin nicht als probates Mittel der Aufarbeitung erwiesen. Drittens: Erneute Überprüfungen, wie in Paragraf 1 vorgesehen, soll es künftig nur noch geben, wenn neue Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für die Stasi oder den Geheimdienst K1 der damaligen Volkspolizei vorliegen.


Der von LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte Antrag stand bereits in der letzten Legislatur zur Diskussion, wurde damals aber mit Mehrheit und ohne Ausschussberatung abgelehnt. Weshalb der erneute Antrag?

ARB:
Den Antrag, künftig auf die mehrheitliche Feststellung einer sogenannten „Parlamentsunwürdigkeit“ ehemaliger überführter Spitzel zu verzichten, hat unsere Fraktion schon einmal wortgleich in der 5. Legislatur gestellt, das ist richtig. Diesem Antrag haben sich nun die SPD- und die LINKE-Fraktion angeschlossen.


Die CDU hat mit ihrer Gesetzesänderung beantragt, die Gültigkeit des Gesetzes auch für die 7. Legislatur (bis voraussichtlich Herbst 2024) – also die nächste Legislatur – zu verlängern. Bis zum Ende dieser Legislatur gilt das Gesetz ohnehin. Ist die Verlängerung um eine weitere Legislatur aus Ihrer Sicht sinnvoll?

ARB: Wir als Fraktion wollen auch in Zukunft an der Abgeordnetenüberprüfung festhalten, da Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder aber auch der K1 das Vertrauen gegenüber anderen Menschen auf menschenverachtende Weise missbraucht haben und dieser Fakt auch den Wählerinnen und Wählern bekannt sein sollte. Noch wichtiger finden wir es daher, dass eine derartige Zusammenarbeit mit der Stasi schon bei der Kandidatur bekannt ist – unsere Parteisatzung sieht eine solche Offenlegung im Vorfeld von Kandidaturen und Ämtern für alle verbindlich vor.

Weshalb dann der geplante Verzicht auf die öffentliche Feststellung der Parlamentsunwürdigkeit?

ARB: Wir sind der Meinung, dass der Wählerwille nicht verändert werden darf – dies hat auch das Thüringer Verfassungsgericht so bewertet und festgestellt, dass Paragraf 8 im Abgeordnetenüberprüfungsgesetz den Artikeln 52 Abs. 2 und 3 und Art. 53 i.V. m. Art. 83 Abs. 1 der Thüringer Verfassung widerspricht und somit nichtig ist. Die Aberkennung der Parlamentswürde ist somit ein „stumpfes Schwert“. Zudem halten wir es für überaus problematisch, als gewählte Abgeordnete anderen gewählten Abgeordneten die Parlamentswürde abzusprechen. Klar ist aber, dass Tätigkeiten für die Stasi oder K1 selbstverständlich auch in Zukunft offen benannt werden müssen. Umfassende Aufarbeitung ist und bleibt – gerade als Partei, die der Oppositionsbewegung in der DDR entstammt – eines unserer Kernanliegen.

Sollte der Gesetzgeber nach Ihrer Auffassung die Möglichkeit haben, ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (IMs) des Ministeriums für Staatssicherheit oder der Geheimdienstpolizei das Landtagsmandat abzuerkennen?

ARB: Das ist nach der Verfassung nicht zulässig, siehe Urteil des VerfGH 2/99 vom 25. Mai 2000. Die Wählerinnen und Wähler entscheiden, wen sie wählen. Deshalb ist es umso wichtiger, entsprechende Tätigkeiten im Vorfeld abzufragen und öffentlich zu machen. Hier sind die jeweiligen Parteien in der Pflicht. Wie bereits erwähnt sieht unsere grüne Parteisatzung eine solche Offenlegung im Vorfeld von Kandidaturen und Ämtern für alle verbindlich vor. Wer dann wissentlich eine sogenannte Inoffizielle Mitarbeiterin oder einen Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi oder K1 unterstützt, muss dies selbst für sich verantworten. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Demokratie nicht ihre eigene Wahlentscheidung absprechen.

Um das Gesetz mit Expertinnen und Experten, Bürgerinnen und Bürgern möglichst breit zu diskutieren, gibt es sowohl eine Anhörung im Ausschuss als auch die Möglichkeit der Beteiligung im Onlineforum des Thüringer Landtags. Wie ist der aktuelle Stand und wie geht es danach weiter?

ARB: Die öffentliche Diskussion im Online-Forum des Thüringer Landtags, an der sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen konnten, ist abgeschlossen und kann auf der Webseite des Thüringer Landtags eingesehen werden (siehe nachfolgenden Link). Dort sind 56 Kommentare zu verzeichnen. Parallel laufen die schriftlichen Anhörungen bei Expertinnen und Experten sowie entsprechenden Institutionen, Gremien und Opfervereinigungen durch den Justizausschuss des Thüringer Landtags. Die Ergebnisse werden in der Aprilsitzung des Ausschusses beraten. Hier war auch die CDU-Fraktion ausdrücklich eingeladen, ihrerseits Expertinnen und Experten zu benennen und sich aktiv einzubringen. Gemeinsam wollen wir zu einer guten Regelung finden und unterschiedlichste Sichtweisen in die Debatte einbeziehen.