"Menschenwürdig und dezentral" - Fachgespräch zur Flüchtlingsunterbringung in Thüringen

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Fachgespräch zur Flüchtlingsunterbringung in Thüringen

Am Dienstag, dem 08. September 2014, fand im Thüringer Landtag ein Fachgespräch zur Thüringer Flüchtlingspolitik statt - insbesondere zur Unterbringung der Asylsuchenden und der sozialen Unterstützung. Astrid Rothe-Beinlich, flüchtlingspolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landtagsfraktion Thüringen begrüßte zu Beginn die 30 Gäste, die der Einladung gefolgt sind. Anwesend waren sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen und Landkreise, von Flüchtlingsorganisationen, der evangelischen und katholischen Kirche, der Wohlfahrtsverbände sowie der Politik.

Eingangs machte Astrid Rothe-Beinlich auf die aktuelle Situation der Flüchtlingsunterbringung in Thüringen aufmerksam. Sie wies dabei auf die steigenden Flüchtlingszahlen, die überfüllten Erstaufnahmestellen in Eisenberg und Suhl und die prekäre Situation in den Gemeinschaftsunterkünften hin. Das Land fördert seit kurzem die Schaffung von neuen Plätzen für die Flüchtlingsunterbringung, allerdings nur in Gemeinschaftsunterkünften. Vor diesem Hintergrund sei es notwendig gemeinsam Perspektiven für die zukünftige Flüchtlingsunterbringung zu erarbeiten, was der Anlass für das Fachgespräch sei.

In dem anschließenden Vortrag sind Dr. Christine Rehklau und Prof. Dr. Doron Kiesel (beide FH Erfurt) auf die Situation und insbesondere auf die nachweislich geringen Standards der Flüchtlingsunterbringung in Thüringen eingegangen. Dabei wiesen sie auf die zahlreichen negativen gesundheitlichen und psychosozialen Folgen der lagerähnlichen Unterbringung hin. Abgesehen davon, dass die Finanzierungspauschalen für die Sozialbetreuung der Flüchtlinge viel zu gering seien, bedarf diese außerdem einer besonderen Professionalität. So sei das derzeit eingesetzte Personal in den Flüchtlingsunterkünften viel zu oft nicht auf die Klientel "Flüchtlinge" vorbereitet. Dadurch entstehe eine paternalistische Haltung gegenüber Flüchtlingen, die einem autonomen Selbstkonzept entgegensteht, welches idealerweise in einem selbstbestimmten Leben der Flüchtlinge mündet. Daher sei von Landesseite unbedingt eine andere und vor allem eine wegweisende Perspektive in der Flüchtlingspolitik notwendig. Diese Perspektive sollte vor allem die Selbstbestimmung der Menschen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen.

Juliane Kemnitz vom Thüringer Flüchtlingsrat e. V. machte daran anschließend aber auch auf die Probleme der dezentralen Unterbringung in Wohnungen aufmerksam. Sie wies darauf hin, dass mit der dezentralen Unterbringung allein nicht alle Probleme gelöst seien. Zusätzlich bedarf es der besseren Ausgestaltung der Rahmenbedingungen. So braucht es eine bessere Ausstattung der sozialen Betreuung, eine Berücksichtigung der Wegezeiten und vor allem auch mehr finanzielle Mittel aufgrund der Mehrsprachigkeit, beispielsweise für den Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern. Eine konzentrierte Unterbringung von Flüchtlingen in ökonomisch abgehangenen und sozial schwachen Stadtvierteln sei zudem kritisch zu bewerten. Der Flüchtlingsrat fordert daher ein Unterbringungskonzept für das Land, welches vorsieht, dass keine neuen Sammelunterkünfte geschaffen werden und sich die Flüchtlingsunterbringung dezentral auf Wohnungen in den Ober- und Mittelzentren in Thüringen konzentrieren sollte. Auch der soziale Wohnungsbau sei auszuweiten. Flüchtlinge sind als normaler Teil des Wohnungsmarktes anzusehen. Und es braucht mehr runde Tische, so wie in Suhl, um auch die Verständigung mit den Menschen vor Ort über die im Zuge der Flüchtlingsunterbringung entstehenden Herausforderungen zu ermöglichen. Der Flüchtlingsrat steht mit seinem Team den Landkreisen und den Kommunen als konstruktiver Beratungspartner für diese Prozesse zur Verfügung.

In der anschließenden Diskussion wurde von vielen Seiten eine flüchtlingspolitische Umkehr im Land gefordert. So seien beispielsweise die derzeitigen Regelungen der Verteilung der Asylsuchenden auf die Landkreise zu hinterfragen.

Von Seiten des Flüchtlingsrates wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass  zuallererst die Unterbringung der Flüchtlinge vernünftig geregelt werden muss, bevor die vielen anderen "Baustellen" gelöst werden können. Außerdem bedarf es regionaler Unterstützungs- und Beratungskonzepte in den jeweiligen Landkreisen, die das Land entsprechend finanzieren müsse.

Professor Kiesel plädierte in diesem Zusammenhang für ein kontinuierliches Monitoring des Landes, welches die sozialen Standards in den Unterkünften laufend zu überprüfen habe. Eine Vertreterin der psychoszialen Beratungsstelle für Flüchtlinge "Refugio Thüringen e. V." wies darauf hin, wie wichtig vor allem ein geschützter Wohnraum im Rahmen der Traumaverarbeitung für die vielfach traumatisierten Flüchtlinge ist. Das Gefühl sich in einen geschützten Raum zurückziehen zu können, sei ungemein wichtig.

Eine Sozialdezernentin eines Landkreises wies darauf hin, dass sich die Landkreise mit dem Problem der Unterbringung und den daraus entstehenden Problemen alleingelassen fühlen. So verfügen die Landkreise über keine eigenen Wohnungsgesellschaften und die Zuweisung des Landes erfolge zu schnell. Auch bleibe zu wenig Zeit dezentrale Unterbringung vor Ort rechtzeitig zu organisieren. Gemeinschaftsunterbringung sei daher aus Sicht des Landkreises notwendig, um diese Überbrückungszeitfenster abzufangen. Auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister seien oft überfordert, sodass sie ihre kommunalen Wohnungsgesellschaften teilweise sogar anweisen keine Wohnungen für Flüchtlinge bereitzustellen.

Von Seiten der Kommunalen Wohnungsgesellschaft Erfurt (KoWo), die über 13 000 Wohnungen im Bestand verfügt, wurde berichtet, wie innerhalb von kurzer Zeit von zwei Wochen ein 50-Punkte-Programm zur dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen der KoWo entwickelt wurde und bereits in der Umsetzung ist. Die KoWo wurde vom Oberbürgermeister der Stadt Erfurt aufgefordert, 100 Wohnungen zur Flüchtlingsunterbringung bereitzustellen. Im Vorfeld der Unterbringung wurden zunächst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wohnungsgesellschaft speziell auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen vorbereitet und auch die in der KoWo engagierten Mieterinnen und Mieter durch Informationsveranstaltungen und die KoWo-Zeitung eingebunden. Zudem wurde ein Netzwerk von unterstützenden Organisationen aus den Bereichen Sprache, Wohnen, Gesundheit und Bildung errichtet.

Astrid Rothe-Beinlich machte abschließend deutlich, dass das Augenmerk zukünftig viel stärker im Sinne einer humanitären Flüchtlingspolitik auf die fachlichen Qualitätsstandards in der sozialen Arbeit, aber auch auf die Form und Qualität der Unterbringung gelegt werden muss. Die Selbstbestimmung und die Menschenwürde seien maßgeblich. Während die Unterbringung in Wohnungen den Menschen die Chance auf ein Zuhause ermögliche, stelle die Gemeinschaftsunterbringung lediglich eine Zuspitzung und Ballung von Problemlagen dar. Auch das von Professor Kiesel eingeforderte Montoring sei wichtig. Außerdem sollte das Parlament bei zukünftigen Entscheidungen eingebunden werden. So könne es nicht sein, dass zentrale Beschlüsse, wie beispielsweise die Schaffung weiterer Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, am Parlament vorbei getroffen werden. Auch der aus den Pauschalen für die Flüchtlingssozialbetreuung errechenbare Betreuungsschlüssel von 150:1 sei viel zu niedrig.

Einig war man sich, dass das Fachgespräch ein guter Auftakt für die weitere Diskussion gewesen ist. Astrid Rothe-Beinlich kündigte an, in der kommenden Legislatur zu weiteren Fachgesprächen einzuladen.